Kabinett beschließt Pflegereform mit Pflicht zur Tarifbezahlung

Auf den letzten Metern vor der Wahl gehen Union und SPD noch ein
zentrales Vorhaben an - höhere Löhne für dringend benötigte
Pflegekräfte. Doch die komplexe Finanzoperation stößt auf Kritik.

Berlin (dpa) - Pflegekräfte sollen nach langem Streit um bessere
Löhne und Arbeitsbedingungen künftig generell nach Tarif bezahlt
werden müssen. Das sehen Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) vor, die das Kabinett am Mittwoch auf den Weg
gebracht hat. Greifen soll dies ab September 2022. Zugleich sollen
Pflegebedürftige von immer weiter steigenden Zuzahlungen für die
Pflege im Heim entlastet werden. Dafür sollen sie ab Januar 2022
Zuschläge bekommen, die den Eigenanteil für die reine Pflege senken.

Die Pflegereform soll voraussichtlich noch im Juni vom Bundestag
beschlossen werden. Zur Gegenfinanzierung soll der Bund ab 2022 einen
Zuschuss von jährlich einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung
geben. Zugleich soll der Zuschlag für Kinderlose beim Pflegebeitrag
um 0,1 Punkte auf künftig 0,35 Prozentpunkte angehoben werden. Damit
steigt der Beitrag für sie von 3,3 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns.

Spahn verteidigte die Pläne gegen Kritik. Das Pflegepaket löse nicht
alle Probleme, gehe aber doch zwei entscheidende Dinge an, sagte er
am Mittwoch im WDR: «Eine regelhaft bessere Bezahlung in der
Altenpflege für alle Pflegekräfte, die dort nicht nur in der
Pandemie, sondern auch vorher schon jeden Tag Großartiges, Wichtiges
leisten. Und gleichzeitig keine Überforderung, Überlastung von
Pflegebedürftigen vor allem bei längerer Pflegebedürftigkeit.»

Bei den Entlastungs-Zuschlägen für Pflegebedürftige gab es noch
Änderungen. Der Eigenanteil für die reine Pflege soll damit nun schon
im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent sinken - im zweiten Jahr dann um
25 Prozent, im dritten Jahr um 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um
70 Prozent. Zunächst war die Entlastung ab dem zweiten Jahr geplant.

Eine bessere Bezahlung dringend benötigter Pflegekräfte ist erklärtes

Ziel der großen Koalition. In der Altenpflege mit rund 1,2 Millionen
Beschäftigten bekommt laut Arbeitsministerium nur knapp die Hälfte
Tariflohn. Ein Anlauf für einen Tarifvertrag, den die Regierung für
die gesamte Branche verbindlich machen wollte, war zu Jahresbeginn
gescheitert. Konkret sollen nun Versorgungsverträge ab 1. September
nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die
nach Tarifverträgen oder mindestens in entsprechender Höhe bezahlen.

Die selbst zu zahlenden Anteile für Pflegebedürftige im Heim steigen
seit Jahren, sie lagen zuletzt bei 2068 Euro pro Monat im
Bundesschnitt. Es gibt aber große regionale Unterschiede. Enthalten
ist darin zum einen der Eigenanteil für die reine Pflege. Denn die
Pflegeversicherung trägt - anders als die Krankenversicherung - nur
einen Teil der Kosten. Für Heimbewohner kommen aber noch Kosten für
Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wies Kritik an der Finanzierung
der Reform zurück. «Wenn man bessere Löhne will und es gleichzeitig
nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen sein soll, (...) dann wird
man das aus der Pflegeversicherung und aus Steuermitteln finanzieren
müssen», sagte er am Mittwoch NDR Info.

Der Sozialverband VdK kritisierte die Reformpläne. «Heimbewohnerinnen
und Heimbewohner werden mehr Geld zahlen müssen. Es kann nicht sein,
dass die Kosten für mehr Personal und notwendige Lohnsteigerungen nun
vor allem an ihnen hängenbleiben», sagte Präsidentin Verena Bentele
den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der geplante Bundeszuschuss von
einer Milliarde Euro reiche «nie und nimmer».

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der
Deutschen Presse-Agentur: «Die Pflegebedürftigen in Deutschland
hätten eine deutlichere Entlastung verdient - es wäre Aufgabe des
Bundesfinanzministers gewesen, einen entsprechenden Bundeszuschuss
bereitzustellen.»

Der Arbeitgeberverband Pflege begrüßte, dass der ursprünglich
angestrebte allgemeinverbindliche Tarifvertrag für die Altenpflege
tot sei. Wer glaube, dass ein Steuerzuschuss für die
Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro reiche, «glaubt auch an
den Weihnachtsmann oder die Weihnachtsfrau», sagte Präsident Thomas
Greiner dem «Handelsblatt». Der Chef der Krankenkasse DAK-Gesundheit,
Andreas Storm, warnte ebenfalls vor einer völlig unzureichenden
Finanzierung der Reform. «Für das Jahr 2022 zeichnet sich schon jetzt
ein Defizit von zwei Milliarden Euro ab.» In der Folge drohten
Beitragssteigerungen.