Corona-Krise führt zu starker Nachfrage bei Telefonseelsorge

Auch im zweiten Jahr der Pandemie wird die Telefonseelsorge viel
genutzt. Der Schock aus dem ersten Jahr ist zwar rum. Im zweiten Jahr
haben die Menschen dafür andere Corona-Probleme.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Einsamkeit, Depression und Suizidgedanken: Die
Corona-Krise hat zu einem starken Anstieg der Hilfegesuche auf den
elektronischen Kanälen der Telefonseelsorge geführt. Allein die
Chat-Gespräche der 20 Telefonseelsorge-Standorte auf dem Gebiet der
rheinischen Kirche hätten im Corona-Jahr 2020 um mehr als ein Drittel
(35 Prozent) auf 6426 zugenommen, teilte die Evangelische Kirche im
Rheinland am Freitag mit. Einen Anstieg von 28 Prozent auf mehr als
10 400 habe es auch bei E-Mail-Kontakten gegeben. Die
Vor-Ort-Gespräche hätten von 786 im Jahr 2019 auf 1207 im vergangen
Jahr zugenommen.

«Vor allem während der Lockdowns waren die Seelsorge-Telefone stark
frequentiert», sagte Pfarrer Volker Bier, evangelischer Leiter der
Telefonseelsorge Saar. An vielen Stellen habe die Kirche die
Besetzung verdoppelt und Dienstzeiten ausgeweitet.

Thematisch beobachten die meist ehrenamtlichen Mitarbeiter der
Telefonseelsorge eine Verschiebung. Nur sei nicht mehr das
Coronavirus das Thema, sondern die Folgen für das tägliche Leben,
sagte Michael Hillenkamp aus der Telefonseelsorge Dortmund. «Es geht
jetzt beispielsweise darum, dass die Oma noch nicht geimpft ist.»
Andere hätten auch Angst vor einer Impfung und suchten deshalb Rat,
ergänzt Rosemarie Schettler von der Telefonseelsorge
Duisburg-Mülheim-Essen. «Es belastet die Menschen, dass Corona unser
Leben diktiert, sie sind sehr unglücklich.»

Besonders betroffen sind auch Jugendliche. Sie nutzen eher die
Chatmöglichkeit der Telefonseelsorge und berichten von
Angstzuständen. «Jugendliche haben eine depressive Stimmung und
leiden oft darunter, dass es keine Aussicht gibt», sagt Hillenkamp.
Ihre Freundeskreise zerfallen und sie fühlten sich in einem Zwiespalt
zwischen privaten Interessen und den strengen Corona-Regeln. «Das
soziale Leben erstirbt den Jugendlichen vor den Augen», sagte
Hillenkamp.

Das zeigt sich auch in den Gesamtzahlen der rheinischen Kirche. Bei
der Mail-Seelsorge stieg der Gesprächsbedarf zum Thema Depression.
Bei den Vor-Ort-Gesprächen ging es immer öfter um das Thema Suizid.
Telefonisch hätten überwiegend 40- bis 60-Jährige die Seelsorge
kontaktiert, darunter viele Frauen. Einsamkeit sei das beherrschende
Thema am Telefon, eine Art «Grunderkrankung» der Gesellschaft, sagte
Bier.

14- bis 29-Jährige äußerten häufig Suizidgedanken und nutzten vor
allem den Chat. Das Thema Suizid beherrsche Kontakte per Chat und
Mail. Bei rund 40 Prozent der Kontaktsuchenden im Chat liege eine
diagnostizierte psychische Erkrankung vor - ein Plus von 15 Prozent
im Vergleich zu 2019. «Ein irritierender und erschreckender Einblick
in die Lebenswelt von jungen Menschen heute», sagte Bier.

Das Gebiet der rheinischen Kirche umfasst Teile der Bundesländer
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland.