Jeder Fünfte mit erster Corona-Impfung - Bewirkt das schon etwas? Von Gisela Gross, dpa

Etwa jeder Fünfte in Deutschland hat mittlerweile mindestens eine
Impfung gegen das Coronavirus bekommen. Bessert sich dadurch die
Pandemie-Lage?

Berlin (dpa) - Ende 2020 begannen die Corona-Impfungen, inzwischen
haben rund 20 Prozent der etwa 83 Millionen Menschen in Deutschland
mindestens eine Dosis bekommen. Etwa jeder Fünfte also, Tendenz
steigend. Auf der anderen Seite sind viele Millionen Menschen noch
gänzlich ungeschützt, den zweiten der für den vollen Schutz nötigen

Impftermine hatten bisher laut Statistik des Robert Koch-Instituts
(RKI) erst etwa 7 Prozent der Bevölkerung. Ebnet Deutschlands
Impfkampagne dennoch schon den Weg aus der Pandemie?

«Bei einer Impfquote von 20 Prozent haben wir noch keinen großen,
signifikanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen, auf die
Fallzahlen», sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen
Gesellschaft für Immunologie. Die Erstimpfung biete einen guten
Schutz vor schweren Verläufen, aber Ansteckungen seien weiterhin
möglich. Nach RKI-Daten vom Dienstag war die Quote der Erstimpfungen
von zuvor knapp unter 20 auf 20,2 Prozent der Bevölkerung gestiegen
(Stand: 20.4., 8.00 Uhr).

Mit den bisherigen Impfungen haben vor allem die Menschen mit dem
höchsten Risiko für schwere und tödliche Verläufe einen Schutz:
Über-80-Jährige. «In der Gruppe sind die meisten geimpft», sagt
Watzl. Die genaue Impfquote in dem Alter kann das RKI nicht angeben.
Klar ist aber: Die Zahl der täglich gemeldeten Toten ist im Vergleich
zur zweiten Welle deutlich gesunken. Auch bei den Inzidenzen sehen
Fachleute eine Verschiebung hin zu den jüngeren Altersgruppen. Watzl
spricht vom «ersten Erfolg der Impfungen».

Viele gefährdete Menschen sind jedoch weiter ohne Schutz. Um welche
Dimension es geht, wird vermutlich gemeinhin unterschätzt: Das RKI
sieht wegen Alter und Vorerkrankungen bei 36,5 Millionen Menschen in
Deutschland ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von
Covid-19, davon zählt das Institut 21,6 Millionen zur
Hochrisikogruppe.

«Bei Menschen über 60 und Menschen mit Vorerkrankungen haben wir
gerade erst angefangen zu impfen. Das wird noch eine Weile dauern»,
betont Watzl. Den Schutz dieser großen Gruppe aufzubauen, sei in der
dritten Welle aber durchaus zu schaffen. Bei einer Impfquote von 70
bis 80 Prozent in den Risikogruppen werde sich die Belegung der
Intensivstationen merklich reduzieren, schätzt der Immunologe.

Ein Freifahrtschein für Lockerungen wäre das allerdings noch immer
nicht. «Sonst bekommen wir riesige Inzidenzen in der übrigen
ungeimpften Bevölkerung», erklärt Watzl. «Deren Risiko für eine
schwere Erkrankung ist ja nicht Null. Bei einer hohen Zahl an Fällen
würde es weiter zu einer großen Krankenhausbelegung kommen. Wir
können es nicht so laufen lassen.»

Nach der Statistik haben in Deutschland bisher nur gut drei Millionen
Menschen die Infektion durchgemacht, wobei Experten von einer recht
hohen Dunkelziffer nicht erkannter und damit auch nicht erfasster
Fälle ausgehen. Eine durchgemachte Infektion bedeutet zudem nicht,
dass die Betroffenen sich nicht neu infizieren - und das Virus
weitergeben - können. Eine im Fachblatt «The Lancet Respiratory
Medicine» vorgestellte Studie zeigte gerade erst, dass junge
Erwachsene nicht komplett vor erneuter Ansteckung geschützt sind. Die
Impfung bleibe für Genesene wichtig: um die natürliche Immunreaktion
zu verstärken, einer Wiederansteckung vorzubeugen und um die
Weitergabe des Erregers zu reduzieren.

Ist erst mal ein großer Impffortschritt erreicht, kann es schnell
gehen mit dem Rückgang des Infektionsgeschehens - das zeigen
ermutigende Nachrichten aus Ländern mit raschem Impffortschritt wie
Israel und Großbritannien. In Israel ist inzwischen mehr als die
Hälfte der neun Millionen Einwohner zweifach geimpft. Die Zahl der
Corona-Infektionen, der Schwerkranken und der Toten sei inzwischen
stark zurückgegangen, twitterte der Forscher Eran Segal vom Weizman
Institut kürzlich.

In Großbritannien haben mehr als 32 Millionen Menschen und damit rund
die Hälfte der Bevölkerung eine erste Impfung. Die Zahl der
Neuinfektionen und Todesfälle sinkt, nachdem Anfang Januar noch eine
katastrophale Situation mit 70 000 Neuinfektionen pro Tag verzeichnet
wurde. Premierminister Boris Johnson und Mediziner wie Azeem Majeed
vom Imperial College London führen das allerdings nicht nur auf die
Impfkampagne zurück, sondern auch auf die langen, harten
Beschränkungen: Über Monate hinweg durften Briten nur eine Person
außer Haus treffen und dies auch nur zum Sport oder Spaziergang; sein
Zuhause ohne triftigen Grund zu verlassen, war nicht erlaubt. Reisen
ins Ausland und private Treffen in Innenräumen sind bis heute
verboten.

Für die Menschen in Deutschland hat die Politik ein Impfangebot für
jeden (Kinder ausgenommen) bis zum Ende des Sommers in Aussicht
gestellt. Ob das klappt, lässt sich schwer vorhersagen - zu viele
Unwägbarkeiten gibt es: Kommen die angekündigten Liefermengen und
weiteren Impfstoff-Zulassungen wie erhofft? Was passiert, wenn sich
Virusvarianten durchsetzen, gegen die Geimpfte und Genesene nicht
optimal geschützt sind? Drohen nach den seltenen Nebenwirkungen bei
Astrazeneca weitere unerwartete Rückschläge für die Impfkampagne?

Experten befürchten, dass die seltenen Blutgerinnsel in Hirnvenen ein
generelles Problem von Vektorimpfstoffen sein könnten. Auch das
Präparat von Johnson & Johnson und der russische Impfstoff Sputnik V
könnten dann von Altersbeschränkungen - in Deutschland wird der
Einsatz von Astrazeneca nur noch für Menschen ab 60 Jahren empfohlen
- betroffen sein. «Ich sehe die Gefahr, dass uns wegen dieser
seltenen Nebenwirkungen rund die Hälfte der Impfdosen für die
Sommermonate wegbricht», sagt der Immunologe Watzl. «Dann haben wir
für die Unter-60-Jährigen erst einmal noch nicht genügend
mRNA-Impfstoffe.»