Bühnenverein: Begründung für Infektionsschutzgesetz «fatales Zeiche n» Von Gerd Roth, dpa

Der Bühnenverein fürchtet mit der geplanten Novelle des
Infektionsschutzgesetzes neue Ketten für die Kultur. Die Theater
wollen mit der Pandemie lernen.

Berlin (dpa) - Mit der geplanten Novelle des Infektionsschutzgesetzes
sehen sich Theater in Deutschland in großer Unsicherheit vor dem
Pandemie-Sommer. In den Plänen der Bundesregierung gebe es keine
Differenzierung zwischen drinnen und draußen, kritisierte der
Präsident des Bühnenvereins, Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda.
«Zum momentanen Zeitpunkt fordert keiner, dass man draußen etwas
machen kann», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in
Berlin. «Aber wir müssten die nächsten Tage und Wochen nutzen, um da

vielleicht zu mehr Differenzierung zu kommen, weil natürlich draußen
etwas anderes ist als drinnen.»

Brosda verwies darauf, dass viele Theater spätestens ab dem
Frühsommer viele Dinge nach draußen verlagern wollten, «damit wir
überhaupt wieder ein kulturelles Leben anfangen können. Viele haben
Planungen, draußen Bühnen aufzustellen und dort zu spielen.» Das sei

teilweise auch im vergangenen Sommer schon gemacht worden.

«Natürlich wächst bezüglich dieser Pläne jetzt die Unsicherheit,
wenn
da so eine harte und auch durch nichts aufzuweichende Kante mit
dieser Hunderterinzidenz in einem Gesetz steht», kritisierte Brosda.
«Das so unterschiedslos zwischen Indoor und Outdoor zu halten, sorgt
gerade für eine ganze Menge Verunsicherung.»

Brosda hofft nach seinen Worten, «dass wir da noch einen klugen Weg
finden, wie wir diese Unsicherheit nehmen und damit auch das Planen
für das Wiederaufnehmen des kulturellen Betriebs perspektivisch
erleichtern können».

Auch den Stopp von Modellen für Tests wie etwa mit Theatern in Berlin
sieht der Bühnenverein kritisch. «Es ist natürlich ärgerlich, dass

jegliche Form von Modellprojekten nicht mehr möglich ist.» Das habe
aber auch damit zu tun, «dass einige in den vergangenen Wochen etwas
über die Stränge geschlagen haben in der Interpretation, was denn ein
Modellprojekt ist und dann flächendeckend ganze Bundesländer zu
Modellregionen erklärt haben», sagte Brosda mit Verweis auf das
Saarland.

«Das führt dazu, dass die sinnvollen und präzisen kleinen Projekte
nicht mehr möglich sind und damit auch durchs Raster fallen», sagte
er. «Wir müssen jetzt zusehen, wie wir uns darauf vorbereiten, dass
wir bei Inzidenzwerten unter 100 mit der Kultur trotzdem nach dem
vereinbarten Stufenplan sofort wieder schrittweise anfangen können.»
Das werde aber schwieriger, «denn jetzt müssen wir die ganzen Fragen
aus dem Trockendock heraus beantworten, weil wir nicht mal
ausprobieren können».

Brosda sieht in der Kulturszene eine große Akzeptanz für schnelle,
harte Maßnahmen. «In der Kultur sagen eigentlich fast alle: Da wir ja
seit November im kompletten kulturellen Lockdown sind, wäre es schön,
wenn die Notbremse jetzt flächendeckend und übergreifend so rigide
ist, dass es dann auch eine Perspektive darauf gibt, wieder
anzufangen.»

Mit der Novelle sieht der Bühnenverein die Stellung der Kultur erneut
erschüttert. «Wer den Begründungstext für die Kulturklausel liest,
in
dem steht, dass man das machen kann, weil es ja Hilfsprogramme für
die Einnahmeausfälle gibt, der möchte die Debatte über die Frage, ob

Politik eigentlich die Rolle und den Wert von Kultur versteht,
nochmal neu führen», sagte Brosda. «Wenn das tatsächlich der gesamt
e
Abwägungsraum sein soll, dann halte ich das für ein fatales Zeichen.»


Die Gesellschaft müsse sich immer wieder klar machen, «dass wir uns
mit den aktuellen Beschränkungen auf einer ideellen Basis so viel
mehr nehmen als nur die Einnahme- und Erlösoptionen für Künstler und

Kulturinstitutionen». Dafür müsse die Politik auch ein Bewusstsein
schaffen. «Wenn wieder mal nicht gezeigt wird, dass es sich um einen
besonderen gesellschaftlichen Bereich handelt, dann wird das wieder
Akzeptanzprobleme schaffen, die einfach unnötig sind und die man
verhindern könnte, wenn man sensibel wäre für das Ideelle, für das

eben nicht bloß materiell Erfassbare.»

Brosda macht Frust in der Szene aus. «Da ballt der eine oder andere
die Faust in der Tasche und sagt: Jetzt reduziert uns nicht schon
wieder aufs Materielle. Es geht um so viel mehr und zwar auch gerade
jetzt in der Pandemie. Es geht um Sinn.»