Länderkritik an Bundes-Notbremse - Linke fordert härteren Lockdown

Die Bundes-Notbremse gegen das Coronavirus ist noch nicht in
trockenen Tüchern. Intensivmedizinern kommt sie nicht schnell genug,
von Länderseite gibt es inhaltliche Kritik. Und einer Partei reicht
die Notbremse in ihrer angedachten Form nicht aus.

Berlin (dpa) - Gegen die Regierungspläne für eine bundeseinheitliche
Notbremse zur Bekämpfung des Coronavirus kommen Bedenken von
Länderseite. Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU)
kritisierte die Pläne als zu unflexibel. Sein hessischer Amtskollege
Volker Bouffier (CDU) wies auf rechtliche Bedenken gegen die
geplanten Ausgangsbeschränkungen hin. Intensivmediziner drängten die
Politik zur Eile und warnten vor zeitraubendem Streit über Details.

Der Bundestag hatte sich am Freitag in erster Lesung mit der Novelle
des Infektionsschutzgesetzes befasst. Kontaktbeschränkungen zum
Brechen der dritten Corona-Welle sollen in Kreisen und Städten ab
einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in einer
Woche greifen. Zudem sind Ausgangsbeschränkungen ab 21.00 Uhr
geplant, diese sind aber besonders umstritten. Auch in einer
Expertenanhörung am Freitag im Gesundheitsausschuss gab es dazu
unterschiedliche Meinungen. Zweifel an der verfassungsrechtlichen
Zulässigkeit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung hatte auch der
Wissenschaftliche Dienst des Bundestages geäußert.

Über mögliche Änderungen am bisherigen Entwurf könnte der
Gesundheitsausschuss am Montag befinden. Eine Verabschiedung des
Bundestages ist für kommenden Mittwoch vorgesehen. Der Bundesrat will
sich am Donnerstag damit befassen. Die Änderungen des
Infektionsschutzgesetzes sind als Einspruchsgesetz formuliert, was es
für die Länderkammer schwerer macht, es aufzuhalten oder noch zu
verändern. Die Länderkammer müsste dazu den Vermittlungsausschuss mit

Vertretern von Bundestag und Bundesrat für Nachverhandlungen anrufen.
Dazu bräuchte es eine absolute Mehrheit von 35 der 69 Stimmen im
Bundesrat.

Mehrere Bundesländer haben jedoch schon angekündigt, dass die
Corona-Notbremse bereits ab Montag gelten soll.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte am Donnerstag an die
Länder appelliert, angesichts der angespannten Lage nicht auf die
Bundes-Notbremse zu warten.

Hessens Ministerpräsident Bouffier brachte allerdings rechtliche
Zweifel an der Zulässigkeit von Ausgangsbeschränkungen vor. «Bereits

jetzt gibt es große juristische Bedenken gegen die Ausgangssperre,
wie sie in dem Gesetz formuliert ist», sagte er der «Bild»-Zeitung
(Samstag). Eine Entmachtung der Länder sieht er in dem Gesetz aber
nicht. Wie Hessen sich im Bundesrat positioniere, sei noch nicht
festgelegt. «Wir sind konstruktiv dabei», sagte Bouffier. «Wir warten

allerdings ab, welche Änderungen es im Bundestag noch gibt. Ich halte
es auch für richtig, das Gesetz in manchen Bereichen
verfassungsfester zu machen. So sollten beispielsweise
Ausgangssperren nur als Ultima Ratio, das heißt als letztes Mittel
verhängt werden.»

Saarlands Regierungschef Hans fremdelt mit der Bundes-Notbremse.
«Wenn wir jetzt erneut völlig unkreativ in einen weiteren
Voll-Lockdown gehen, wird das zwar irgendetwas helfen», sagte der
CDU-Politiker der «Welt» (Samstag). «Aber es wird auch für viel
Verdruss sorgen.» Zugleich verteidigte er das bundesweit beachtete
Modell seines Landes, Öffnungen mit Schnelltests zu verbinden. Die
Infektionszahlen im Saarland seien nicht stärker gestiegen als im
übrigen Deutschland. «Daran lässt sich ablesen, dass unsere sehr
vorsichtigen Öffnungsschritte kein zusätzlicher Treiber für
Infektionen sind», betonte Hans.

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, mahnte zur Eile.
«Es ist momentan keine Zeit für tage- oder wochenlange Diskussionen -
jetzt ist höchste Zeit zu handeln», sagte Marx dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland (RND/Samstag). Für Detaildiskussionen über den Sinn
einzelner Maßnahmen habe er kein Verständnis. Das Infektionsgeschehen
müsse schnellstens unter Kontrolle gebracht werden. Deshalb brauche
man die bundesweite Notbremse - und zwar besser gestern als heute.

Die Linke forderte einen harten Lockdown. «Ein konsequenter und
solidarischer Lockdown mit dem Herunterfahren der meisten Bereiche
über zwei, drei Wochen wäre deutlich sinnvoller, als sich in diesem
halbherzigen und belastenden Dauer-Lockdown noch über Wochen und
Monate weiterzuschleppen», sagte Parteichefin Janine Wissler der
«Augsburger Allgemeinen» (Samstag). «Wenn man Notbremsen erst bei
Inzidenzwerten von 100 und 200 zieht, ist man schon mittendrin im
exponentiellen Wachstum.» Die Intensivstationen liefen voll. «Da kann
man nicht die Schulen aufmachen und in Modellregionen den
Einzelhandel öffnen.»

Gegen Corona-Auflagen wollen an diesem Samstag in mehreren deutschen
Städten wieder Menschen demonstrieren. Bundesjustizministerin
Christine Lambrecht rief die Polizei auf, bei massiven Regelverstößen
oder gar strafbaren Handlungen müsse «glasklar eine rote Linie
gezogen und konsequent vorgegangen werden». Als letzte Konsequenz
müssten Demonstrationen aufgelöst werden, sagte die SPD-Politikerin
den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).