Schulöffnung ade - Stuttgart und Ulm ziehen vorauseilend Notbremse

«Wozu der ganze Zirkus?», fragt ein Lehrerverband. Mitten in die
dritte Corona-Welle hinein sollen Schulen auf breiter Front öffnen.
Doch manchen Kommunen im Land ist das zu riskant: Sie ziehen
vorauseilend die Notbremse.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die für Montag geplante Rückkehr aller Kinder
und Jugendlichen in die Schulen nach vier Monaten im Lockdown wird
nur in Teilen Baden-Württembergs klappen. Die Großstädte Stuttgart
und Ulm zogen am Freitag angesichts hoher Infektionszahlen in letzter
Minute die Notbremse und verschoben den Start des Präsenz- und
Wechselunterrichts vorerst.

Beide Städte sind Corona-Hotspots. Ulm rangierte am Freitag bei 183,0
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in einer Woche und damit noch
unter dem Grenzwert 200, ab dem es nur Fernunterricht geben soll.
Stuttgart lag mit 207,6 darüber. Daneben gibt es einige Landkreise,
die schon länger über dieser kritischen Schwelle liegen. Dazu gehören

die Kreise Heilbronn, Schwäbisch Hall, der Hohenlohekreis, Göppingen
und Heidenheim. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Kommunen, die
ähnlich wie Ulm nah an die Inzidenz 200 heranrücken.

Ministerium will «pragmatische Lösung» für Grenzfälle

Wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr, will das Kultusministerium
«pragmatische Lösungen» für diese Grenzfälle ermöglichen. Demna
ch
sollen die Schulleitungen einen Ermessensspielraum bekommen, wenn in
ihrem Kreis am Donnerstag oder an diesem Freitag die Inzidenz von 200
erstmalig überschritten wurde und die Tendenz weiter so bleibt. Dann
können sie die Schule - außer für Abschlussklassen und Notbetreuung -

geschlossen lassen. Das hat Amtschef Michael Föll in einer Runde mit
Lehrervertretern am Freitag erklärt. Ein Ministeriumssprecher
bestätigte diese Regelung. Die GEW und der Philologenverband gingen
das Land hart dafür an, dass es überhaupt an Schulöffnungen bis zu
einer Inzidenz von 200 denkt.

Stuttgart macht auch Kitas dicht

Die Stadt Stuttgart will auch die Kitas schließen. «Wir empfehlen,
Schulen ab Montag nicht zu öffnen und Kitakinder zu Hause zu
betreuen», teilte die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel

Fezer, mit. «Wenn wir dieser Pandemie Einhalt gebieten wollen, zählt
jeder Tag. Wir müssen und wollen die Kontakte weiter reduzieren und
in Schulen und Kitas kommen - trotz guter Hygienekonzepte - Tausende
Menschen ganz unterschiedlicher Altersgruppen und aus allen
gesellschaftlichen Schichten zusammen. Dies macht sich das Virus
zunutze.»

Bisher gibt es nur dringende Empfehlungen

Auch die Stadt Ulm hatte bereits eine ähnliche Empfehlung für die
Schulen herausgegeben. Die Städte können bisher nur Empfehlungen
aussprechen, weil die rechtliche Grundlage für ein Verbot des
Präsenzunterrichts ab einer Inzidenz von 200 noch fehlt. Die
Landesregierung in Stuttgart will ihre Corona-Verordnung und die
Schulbestimmungen aber am Wochenende aktualisieren und dann die vom
Bund verlangte Notbremse einarbeiten. Demnach ist die Voraussetzung
für eine fortgesetzte Schließung, dass ein Kreis an drei Tagen
hintereinander den Schwellenwert von 200 überschreitet - dann muss am
übernächsten Tag der Präsenzunterricht untersagt werden.

In Stuttgart sind gut 230 Schulen und 600 Kitas betroffen. In Ulm
sollen die 53 Schulen zunächst größtenteils geschlossen bleiben. Die

Stadt Mannheim mit einer Inzidenz von fast 190 will nach eigenen
Angeben am Montag wie geplant öffnen. Im Südwesten gibt es rund 4500
Schulen.

Lehrer halten Regierung vor: Nur Koalitionsverhandlungen im Kopf

Der Verband der Gymnasiallehrer kritisierte, die Schulöffnungen in
Kreisen mit mehr als 160 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner in
einer Woche seien «sinnfrei». «Dort ist ja absehbar innerhalb einer
Woche mit erneutem Rückwechsel in den Fernunterricht zu rechnen. Wozu
also der ganze Zirkus?», sagte Ralf Scholl, Landeschef des
Philologenverbands. «Mein Eindruck ist, die Politiker von Grünen und
CDU sind gerade mit den Koalitionsverhandlungen so beschäftigt, dass
das Landeswohl und Corona nur noch Nebensache sind.» Es könne auch
nicht angehen, dass Öffnungen mit Hinweis auf die Tests durchgedrückt
würden. «Ein Corona-Test schützt genauso stark vor Corona wie ein
Schwangerschaftstest vor einer Schwangerschaft.»

Sozialministerium: Schnelltests sind ausgeliefert

Das Land setzt beim Neustart für viele Schülerinnen und Schüler vor
allem auf die Testpflicht, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu
verhindern. Wer mehr als drei Tage in Folge an der Schule ist, muss
sich zweimal pro Woche testen lassen. Sind es im Zuge des
Wechselunterrichts weniger Tage, reicht auch ein Test pro Woche.
Geimpfte und genesene Menschen sind von der Testpflicht befreit. Nach
Auskunft des Sozialministeriums sind die übrigen Testkits nach einer
zwischenzeitlichen Verzögerung nun ausgeliefert worden. Es hätten
alle Landkreise zumindest so viele Selbsttests bekommen, dass am
Montag der Schulbetrieb starten kann und nicht eine Schließung
erforderlich wird, weil Tests fehlen, erklärte eine Sprecherin. Der
Berufsschullehrerverband hatte am Freitag moniert: «Leider sind noch
nicht alle Schulen mit Tests ausgestattet.»