Die Notbremse kommt - was das für Baden-Württemberg bedeutet Von Nico Pointner, dpa

Überall in Deutschland sollen bald die gleichen Corona-Regeln gelten.
So lange will Baden-Württemberg nicht warten. Was konkret ändert sich
ab Montag, wenn in Landkreisen die Inzidenz über 100 klettert?

Stuttgart (dpa/lsw) - Er lädt schon ein wenig zum Kopfschütteln ein,
dieser politische Schlingerkurs der vergangenen Wochen im Kampf gegen
die dritte Corona-Welle. Zuerst vereinbarten Bund und Länder Anfang
März eine sogenannte «Notbremse» für Gegenden mit hohen Inzidenzen.

Dann traten die Länder aber ganz unterschiedlich fest aufs
Bremspedal. Auch Baden-Württemberg weicht stellenweise von den
Vereinbarungen ab.

Der Bund will mit einem eigenen Gesetz durchgreifen. Allerdings lässt
die «Bundes-Notbremse» noch auf sich warten, muss durch Bundestag und
Bundesrat. Nun gibt Baden-Württemberg plötzlich den Musterknaben -
und kündigt an, die Bundesregeln bereits ab Montag durchsetzen zu
wollen. «Wir warten nicht auf den Bund, wir müssen jetzt handeln»,
sagt Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne).

Die Corona-Verordnung des Landes müsse man nämlich ohnehin am
Wochenende verlängern, heißt es. Derzeit kursiert ein Entwurf, der
noch zwischen den Ressorts abgestimmt werden muss. Der Deutschen
Presse-Agentur liegen die Kernpunkte vor. Was sich ändert:

NOTBREMSEN-SCHWELLE - Ab wann werden die Regeln verschärft?

Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz - also die Ansteckungen binnen sieben
Tagen pro 100 000 Einwohner - nach Bundesplänen an drei aufeinander
folgenden Tagen die Schwelle von 100 überschreitet, sollen dort ab
dem übernächsten Tag schärfere Maßnahmen gelten. Heißt: Die Inzid
enz
überschreitet am Montag, Dienstag und Mittwoch jeweils die
100er-Marke - dann gilt ab Freitag die Notbremse. Ob das Land diesen
Zeitplan übernimmt, ist unklar. Die schärferen Regeln würden nach der

Infektionslage derzeit jedenfalls fast den ganzen Südwesten
betreffen: Nur vier Kreise lagen am Freitag unter der 100er-Marke.

AUSGANGSSPERREN - Wer darf nachts künftig noch vor die Tür?

In der neuen Südwest-Verordnung plant das Land verbindliche
Ausgangsbeschränkungen. Zwischen 21.00 und 5.00 Uhr darf man in
Hotspots die eigene Wohnung oder das eigene Grundstück nur noch aus
«triftigen Gründen» verlassen. Der Bund zählt etwa gesundheitliche

Notfälle oder die Berufsausübung dazu, aber nicht etwa Spaziergänge
oder Joggingrunden. In 19 von 44 Kreisen im Südwesten gilt aber
bereits eine Ausgangssperre, heißt es im Gesundheitsministerium.

KONTAKTE - Mit wie vielen Personen darf ich mich nun treffen?

In Baden-Württemberg dürfen sich bislang noch zwei Haushalte mit bis
zu fünf Personen treffen - auch in Regionen mit hohen Inzidenzen. Das
Land weicht dabei von den einst von Bund und Ländern beschlossenen
Kontaktregeln ab. Mit der Notbremse darf sich künftig höchstens noch
ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen. Kinder bis 14 Jahre
zählen nicht mit. Ob Pärchen, die nicht zusammenwohnen, weiterhin im
Land als ein Haushalt gelten, war am Freitagnachmittag noch unklar.
Bei Beerdigungen dürfen künftig noch bis zu 15 Menschen
zusammenkommen.

HANDEL - Wo kann ich noch einkaufen gehen?

Ab der 100er-Inzidenz dürfen nur noch Ladengeschäfte der
Grundversorgung - also etwa Supermärkte, Apotheken, Drogerien -
öffnen. Die maximal zulässige Verkaufsfläche pro Kunde will das Land

nochmals verschärfen - von 10 auf 20 Quadratmeter (bei Ladenflächen
bis 800 Quadratmeter) und von 20 auf 40 Quadratmeter (bei
Ladenflächen über 800 Quadratmeter). Ladengeschäfte dürfen ab Monta
g
dem Entwurf zufolge auch keine Abholangebote mehr anbieten. Nur noch
Lieferdienste sind zulässig. Baumärkte müssen schließen.

FREIZEIT - Was ist mit Kunst, Kultur und Sport?

Museen, Galerien, Ausstellungen, Gedenkstätten, zoologische und
botanische Gärten müssen dicht machen, ebenso Wettannahmestellen. Nur
kontaktloser Individualsport bleibt erlaubt, den man allein, zu zweit
oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands ausüben kann. Ausnahmen
gelten dem Entwurf zufolge für den Wettkampf- und Trainingsbetrieb
des Spitzen- und Profisports.

DIENSTLEISTUNGEN - Und was ist mit dem Friseur?

Für Friseurbesuche und Barbershops braucht es künftig im Land einen
negativen Schnelltest in Notbremsen-Regionen. Körpernahe
Dienstleistungen wie Kosmetik-, Nagel-, Massage-, Tattoo- und
Piercingstudios sowie kosmetische Fußpflegeeinrichtungen müssen
schließen. Das gilt auch für Sonnenstudios. Ausnahmen gelten für
medizinisch notwendige Behandlungen, etwa die Physio- und
Ergotherapie, Logopädie, Podologie und Fußpflege.

BILDUNG - Werden Schulen und Kitas nun wieder öffnen oder nicht?

Überschreitet die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen
den Schwellenwert von 200, wird der Präsenzunterricht in Schulen und
Kitas verboten. Ausnahmen besonders für Abschlussklassen sind
möglich. Eigentlich sollen die Schulen nächste Woche wieder ihre
Pforten öffnen - zumindest für den Wechselunterricht. Für viele
Schulen stellt sich damit die Frage, ob sie überhaupt öffnen sollten.
Derzeit liegen 10 der 44 Kreise über 200. Sechs weitere Kreise liegen
nach Zahlen des Landesgesundheitsamts vom Freitagabend nur knapp
darunter. Stuttgart und Ulm haben wegen hoher Corona-Infektionszahlen
am Freitag bereits angekündigt, die für diesen Montag geplante
weitgehende Öffnung der Schulen und Kitas zu verschieben.

EXITSTRATEGIE - Wann endet die Notbremse?

Die Regeln sollen laut Bundesentwurf so lange in Kraft bleiben, bis
die 7-Tage-Inzidenz an fünf aufeinander folgenden Tagen die Schwelle
von 100 unterschreitet - dann treten die Extra-Auflagen am
übernächsten Tag wieder außer Kraft. Zwischen wenigen Tagen und
mehreren Monaten wäre also alles drin. Wie das Land die Exitstrategie
gestaltet, war zunächst unklar.