Laumann: «Rechtssichere Ausgangssperren sind ein Kunststück»

Der Bund will Ausgangsbeschränkungen, wenn der Inzidenzwert dauerhaft
zu hoch ist. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister hat bei
pauschalen Regeln seine Zweifel. Er setzt als Alternative auf viele
Tests. Und die Bevölkerung macht mit - NRW ist bundesweit Spitze.

Landesweit (dpa) - Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister
Karl-Josef Laumann (CDU) hat sich kritisch über landes- oder
bundesweite pauschale Ausgangsbeschränkungen geäußert. Er setze
stattdessen vor allem darauf, möglichst viele Menschen zu motivieren,
sich auf das Coronavirus testen zu lassen, sagte er am Freitag.

NRW habe für Tests bereits «eine Riesenstruktur aufgebaut». Er sei
sicher, dass die Menschen diese Angebote nicht mehr wahrnehmen
würden, wenn sie sich damit nicht beispielsweise für einen Einkauf in
einem Geschäft freitesten lassen könnten. Nach Angaben des
Gesundheitsministeriums hat es in NRW seit dem 8. März 4,4 Millionen
kostenfreie «Bürgertestungen» auf das Coronavirus gegeben. Pro
Werktag gebe es in der Regel an 6500 Stellen zwischen 200 000 und
270 000 Tests. Laut Ministerium liegt NRW damit im bundesweiten
Vergleich an der Spitze. Die Quote der positiven
Schnelltestergebnisse liegt nach Angaben der Regierung im Schnitt
zwischen 0,4 und 0,7 Prozent.

In Kommunen mit besonders hohen oder stark steigenden Inzidenzen, in
denen bisherige Maßnahmen nicht wirksam gewesen seien, könnten
örtliche Ausgangssperren sinnvoll sein, «um die Kontakte im
Privatbereich als Treiber des Infektionsgeschehens einzudämmen»,
sagte Laumann der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. Allerdings
müssten sie dann «in ein Gesamtkonzept von einschneidenden Maßnahmen

eingebettet sein», um die Infektionsentwicklung wirksam zu stoppen.

In Köln tritt in der Nacht zum Samstag um 0.00 Uhr eine nächtliche
Ausgangsbeschränkung in Kraft. Sie gilt bis auf weiteres von 21 Uhr
abends bis 5 Uhr morgens. Nach Angaben von Oberbürgermeisterin
Henriette Reker hat es das seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr
gegeben. Die hohen Corona-Zahlen und die Auslastung der
Intensivstationen machten die Maßnahme unumgänglich, sagte die
parteilose Politikerin.

Auch im Oberbergischen Kreis tritt am Samstag eine nächtliche
Ausgangsbeschränkung in Kraft. Damit gilt diese dann in mehreren
Kommunen in NRW. Außer Köln und dem Oberbergischen Kreis sind dies
Minden-Lübbecke, Siegen-Wittgenstein, der Märkische Kreis, Remscheid
und Hagen. Wuppertal will am Montag folgen.

Im Bundestag standen am Freitag Beratungen über die geplante Änderung
des Infektionsschutzgesetzes auf der Agenda. Bundeseinheitlich sollen
Regelungen für eine Verminderung der Kontakte getroffen werden, wenn
in einem Landkreis oder einer Stadt mehr als 100 Neuinfektionen auf
100 000 Einwohner binnen sieben Tagen kommen. Ab 21.00 Uhr sollen
etwa Ausgangsbeschränkungen greifen, um zu verhindern, dass sich
Menschen privat in Räumen treffen und gegenseitig anstecken können.

«Hier bin ich fundamental anderer Auffassung», sagte Laumann. Auch in
NRW gebe es bereits regionale Ausgangsbeschränkungen, darunter in den
Kreisen Minden-Lübbecke, Siegen-Wittgenstein, im Märkischen Kreis und
in Remscheid - einige bereits gerichtlich beanstandet. «Die Hürden
für Ausgangsbeschränkungen sind bei den Gerichten sehr hoch», stellte

er fest. «Wenn der Bund hingeht und sagt, ab 100 gilt eine
Ausgangssperre, bin ich gespannt, was das Bundesverfassungsgericht
dazu sagt.» Für die Justiz sei das nur Ultima Ratio. «Rechtssichere
Ausgangssperren zu machen, ist ein Kunststück.»

In NRW lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Freitag nach Zahlen des Robert
Koch-Instituts bei 162,7 und damit leicht über dem Wert für ganz
Deutschland (160,1). «Ich glaube, dass es bei dieser britischen
Mutante einfach so ist, dass wir uns an etwas höhere Werte gewöhnen
müssen als bei der ersten Welle», sagte Laumann.

In 13 Kommunen mit einer hohen Sieben-Tage-Inzidenz bleiben die
Schüler auch in der kommenden Woche im Distanzunterricht. Lediglich
die Abschlussklassen dürften zum Präsenzunterricht in die Schulen,
teilte die Landesregierung am Freitagabend mit. Das Land habe nun für
die betroffenen Kommunen mit einem 7-Tage-Inzidenzwert von über 200
per Landesverordnung eine Vorgabe geschaffen, die den noch
ausstehenden geplanten bundeseinheitlichen Regelungen entspricht,
heißt es in der Mitteilung.

Betroffen sind Duisburg, Gelsenkirchen, Hagen, Krefeld, Märkischer
Kreis, Mülheim an der Ruhr, Oberbergischer Kreis,
Rheinisch-Bergischer Kreis, Stadt Remscheid, Kreis
Siegen-Wittgenstein, Stadt Solingen, Kreis Unna und Stadt Wuppertal.

Die Vergabe von Impfterminen für Menschen der Geburtsjahrgänge 1944
und 1945 in NRW ist am Freitag ohne Probleme angelaufen. Ab 8.00 Uhr
waren die Terminbuchungssysteme der Kassenärztlichen Vereinigungen
(KV) freigeschaltet. Über die Online-Plattform www.116117.de, die
zentrale Rufnummer 116 117 sowie zusätzliche Hotlines im Rheinland
und Westfalen-Lippe konnten Menschen der beiden Jahrgänge Impftermine
für sich und ihre Lebenspartner vereinbaren.

Im Zusammenhang mit der Testpflicht in Schulen kämpft das
Oberverwaltungsgericht für NRW mit einer Klagewelle. Nach Angaben von
OVG-Sprecherin Gudrun Dahme gab es bei keinem anderen Corona-Thema in
kurzer Zeit so viele Eingänge von Bürgern. Bis Freitagmittag (Stand
13.00 Uhr) lagen 40 sogenannte Normenkontroll-Eilverfahren vor.
Insgesamt haben sich jetzt 50 Schüler, die von ihren Eltern vertreten
werden, an die obersten NRW-Verwaltungsrichter gewandt. Zum Teil
klagen demnach in einem Verfahren mehrere Geschwisterkinder.

«Die Vielzahl der Verfahren ist umso erstaunlicher, als es sich um
Normenkontrollverfahren handelt, bei denen eigentlich ein Verfahren
zur Klärung der Rechtslage reicht», erklärt Gerichtssprecherin Dahme.

«Wenn das OVG entscheiden würde, dass der Schulausschluss bei
fehlendem Testnachweis verfassungswidrig und die Regelung deshalb
vorläufig außer Vollzug zu setzen ist, dann würde das für alle
Schüler in NRW gelten», erklärt die Sprecherin.