Heftige Debatte im Bundestag über Bundes-Notbremse

Nach mehr als einem Jahr Pandemie und unter dem Druck der dritten
Welle will der Bund bei der Corona-Bekämpfung mehr Kompetenzen an
sich ziehen. Über die entsprechende Änderung des
Infektionsschutzgesetzes wird im Bundestag heftig diskutiert.

Berlin (dpa) - Die Bundes-Notbremse zur Vereinheitlichung der
Anti-Corona-Maßnahmen in Deutschland ist auf dem parlamentarischen
Weg. Im Bundestag lieferten sich Regierungsparteien und Opposition am
Freitag einen heftigen Schlagabtausch in der ersten Beratung über
entsprechende Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. Die Opposition
kritisierte vor allem die darin geplanten nächtlichen
Ausgangsbeschränkungen und forderte Änderungen am Gesetzentwurf. Die
FDP drohte mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Vorhaben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte in der Debatte
eindringlich vor einer Überforderung des Gesundheitssystems in der
Corona-Pandemie. «Die Lage ist ernst, und zwar sehr ernst.» Das
geplante Gesetz solle das Land aus der «furchtbaren Phase» der
ständig steigenden Infektionszahlen herausführen und ein immer
weiteres Ansteigen bei den Schwerkranken und Intensivpatientinnen und
-patienten verhindern. Sie verteidigte die geplanten
Ausgangsbeschränkungen. «Es geht darum, abendliche Besuchsbewegungen
von einem Ort zum anderen - im Übrigen auch unter Benutzung des
öffentlichen Personennahverkehrs - zu reduzieren.»

Mit dem Gesetz soll es künftig bundeseinheitliche Regelungen für
Corona-Maßnahmen geben. Überschreitet die Zahl der Neuinfektionen auf
100 000 Einwohner binnen sieben Tagen in einer Stadt oder einem
Landkreis den Wert von 100 an drei aufeinander folgenden Tagen,
müssen etwa Geschäfte geschlossen werden und es greifen
Ausgangsbeschränkungen ab 21 Uhr. Schulen sollen ab einem Wert von
200 mit Ausnahmen keinen Präsenzunterricht mehr anbieten dürfen.
Bisher lagen solche Maßnahmen in der Verantwortung der Länder. Die
erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes hatte die
Bundesregierung in Folge des Scheiterns der sogenannten Osterruhe auf
den Weg gebracht.

Scharfe Kritik kam von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Sie nannte
den Gesetzentwurf ein «alarmierendes Dokument obrigkeitsstaatlichen
Denkens». Der Impuls dazu gehe vom Kanzleramt und insbesondere von
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. «Sie misstrauen den Bürgern,
deshalb wollen Sie sie tagsüber gängeln und nachts einsperren», sagte

Weidel. Die Regierung lege zudem die Axt an den Föderalismus.
«Ausgangssperren sind unverhältnismäßig und verfassungswidrig.»

FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner drohte der
Bundesregierung mit einer Verfassungsbeschwerde. «Es ist richtig,
dass nun bundeseinheitlich gehandelt wird», sagte er. Die geplanten
Regelungen zu nächtlichen Ausgangsbeschränkungen nannte er aber
verfassungsrechtlich «hochproblematisch». Man werde Vorschläge
machen, dieses Gesetz verfassungsfest zu machen und sagte an die
Koalitionsfraktionen gerichtet, die FDP-Fraktion werde sich gezwungen
sehen, «den Weg nach Karlsruhe im Wege von Verfassungsbeschwerden zu
gehen», wenn auf die Bedenken nicht eingegangen werde.

Grüne und Linke warfen der Regierung vor, das Wirtschaftsleben in dem
Gesetz nicht ausreichend zu berücksichtigen. In der Wirtschaft gebe
es faktisch null Beschränkung, sagte der Linken-Politiker Klaus
Ernst. Im Gesetz stehe etwa nicht, dass man testen müsse, bevor man
sich am Arbeitsplatz aufhalte. «Warum schreiben sie das nicht rein?
(...) Weil sie den Unternehmerverbänden im Hintern hängen!»
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bezeichnete die geplante
Bundes-Notbremse als «Abrissbirne des Parlamentarismus». Das Vorhaben
mit seinen Eingriffen in Grundrechte und Ausgangsbeschränkungen sei
nicht die Lösung.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte, dass «dringend

nachgebessert» werden müsse. «Und da geht es zuallererst für mich u
m
die Kontakte in der Arbeitswelt, die müssen maximal rechtsverbindlich
runter und der Schutz muss hoch.» Göring-Eckardt kritisierte zudem
den geplanten Grenzwert für Schulschließungen, der im Gesetz bei 200
festgelegt wird. Erst ab dieser Inzidenz zu handeln, sei zu spät,
sagte sie.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warb in der Debatte
eindringlich für eine schnelle Umsetzung der geplanten
Ausgangsbeschränkungen am Abend gegen die dritte Corona-Welle. «Es
wird alleine nicht reichen, aber in keinem Land ist es gelungen, eine
Welle mit Variante B.1.1.7 noch einmal in den Griff zu bekommen, ohne
dass man nicht auch das Instrument der Ausgangsbeschränkung, und
nicht -sperre, genutzt hätte», sagte er.

Nach der ersten Lesung im Bundestag sollte noch am Freitagnachmittag
in einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss über die
Bundes-Notbremse beraten werden. Die Verabschiedung des Gesetzes im
Bundestag ist für Mittwoch vorgesehen. Danach muss es noch den
Bundesrat passieren.