#Endthestigma: Verletzte Seelen gibt es auch im Showgeschäft Von Gregor Tholl, dpa

Manche Hollywood-Stars thematisieren schon seit Jahren immer mal
wieder seelische Probleme. Nun wagen auch deutsche Promis wie Nora
Tschirner, das einstige Tabuthema Depressionen offen anzusprechen.

Berlin (dpa) - Die wohl unreflektierteste Reaktion dürfte sein: «Ach,
die auch?» - es wäre ein ähnlich sensationslüsterner Gedanke wie be
i
einem Coming-out von Lesben oder Schwulen oder zuletzt auch
Corona-Infizierten. Die aus Kinohits wie «Keinohrhasen» und dem
Weimar-«Tatort» bekannte Schauspielerin Nora Tschirner hat in einem
Interview des «Süddeutsche Zeitung Magazins» offen über frühere
Depressionen gesprochen. «Ich konnte mich nicht mehr freuen und mir
nicht einmal mehr vorstellen, wie es wäre, mich über etwas zu freuen.
Und ich dachte: Mal ehrlich, ich hab mich wahrscheinlich überhaupt
noch nie über irgendwas gefreut», schilderte die 39-Jährige.

In Deutschland waren Depressionen lange Zeit total tabuisiert, dann
ab 2009 überschattet vom Suizid des früheren Nationaltorwarts Robert
Enke. In jüngerer Zeit sprechen jedoch auch Prominente, die fürs
Lustigsein bekannt sind, offen über die Erkrankung. Ein Fortschritt,
nachdem es jahrelang nur Einzelfälle in der Öffentlichkeit gab, etwa
bei einigen Sportstars wie dem Skispringer Sven Hannawald.

«Torsten Sträter und Kurt Krömer reden bei «Chez Krömer» über

Depressionen und ich weine (mittlerweile ohne Depression). Danke Euch
beiden», schrieb Tschirner etwa Ende März bei Instagram als Reaktion
auf eine RBB-Talkshow. «Es klingt an manchen Tagen unüberwindlich,
auch nur den kleinsten Schritt (oder einen Klick/geschweige denn
Anruf) zu machen und man denkt, man ist der einzige Mensch, bei dem
nichts helfen wird oder der den Versuch nicht wert ist.» Doch das sei
ein «Filter im Kopf». «Den kann man wegkriegen». «Lasst euch helf
en»,
schrieb die Berlinerin. «Ein Winken aus dem Leben danach. Ist schön
hier.» Ihre Worte schloss Tschirner mit dem Schlagwort #endthestigma
ab: also dem Aufruf, Depressionen nicht mehr als Schandmal zu sehen
und daran Erkrankte nicht negativ zu bewerten.

Immer mehr deutsche Prominente gehen mit der Erkrankung offen um,
nachdem es in anderen Ländern wie den USA schon länger üblich ist.
Stars wie Lady Gaga, Katy Perry, Eminem, Julia Roberts, Halle Berry,
Selena Gomez, Demi Lovato, Nicole Kidman, Angelina Jolie, Demi Moore,
Ellen DeGeneres und Jim Carrey redeten offen über seelische Probleme.

Lang ist dennoch die Liste von Promis, die vor aller Augen in
Abgründen versanken - depressiv, drogensüchtig, gar tödlich.
Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, aber noch immer zu betonen:
Reichtum, rote Teppiche, Rampenlicht schützen nicht vor Depressionen.

Der deutsche Musiker Wincent Weiss machte aus seiner Erfahrung ein
Lied namens «Wie es mal war». «Ich habe die Leichtigkeit im Leben
verloren und konnte mich nicht mehr über Dinge freuen», sagte der
28-Jährige vor kurzem der Deutschen Presse-Agentur. «Als ich den Song

2019 geschrieben habe, hatte ich bereits depressive Züge und bin zur
Therapie gegangen.» In dem Song heißt es etwa: «Der Kopf zu voll, die

Brust zu leer. Kein Gefühl, das mir mal für 'ne Sekunde bleibt.»

«Aus medizinisch-therapeutischer Sicht ist die Depression eine ernste
Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen
beeinflusst, mit Störungen von Körperfunktionen einhergeht und
erhebliches Leiden verursacht», definiert die Stiftung Deutsche
Depressionshilfe. Es gebe jedoch effektive medikamentöse und
psychotherapeutische Behandlung. «Die umgangssprachliche Verwendung
des Begriffs Depression kann irreführend sein.» Wenn ein an
Depression erkrankter Mensch oder die Angehörigen annehmen,
Hoffnungslosigkeit sei eine nachvollziehbare Reaktion auf bestehende
Lebensprobleme und nicht Ausdruck einer eigenständigen Erkrankung,
sei das Risiko groß, Depressionen gefährlich zu verschleppen.

«Depression hat nichts mit Niedergeschlagenheit zu tun. Oder mit
Traurigkeit», erklärte auch Bestsellerautor Ferdinand von Schirach
etwa in der ZDF-Talkshow «Markus Lanz» vor zwei Jahren. Es sei eine
Disposition im Gehirn, die sich bei jedem anders zeige. «Bei mir etwa
ist es das Gefühl, als würde ich in einem Zimmer liegen und von der
Decke beginnt Öl zu tropfen und man sinkt gleich in das Öl ein.»

Tschirner fand im «SZ-Magazin» ein anderes Bild. Sie habe das Gefühl

gehabt, sich aufzulösen. «Es war eine diffuse Armee in schwarzem
Nebel. Wenn man es sich überhaupt vorstellen kann, dann wie die
Schwarzen Reiter in «Der Herr der Ringe» oder das Nichts aus der
«Unendlichen Geschichte». Mystische Figuren, die man nicht erkennen
kann.» In einer neuen Serie namens «The Mopes» (beim Sender TNT Serie

ab 11. Mai) stellt Tschirner eine Depression als Person dar.

In der «SZ» sprach sie auch über das Schamgefühl: «Als privilegie
rte
Person - Schauspielerin, Dach über dem Kopf, zwei gesunde Arme, zwei
gesunde Beine - hatte ich das Gefühl, meine Probleme gar nicht haben
zu dürfen. Dieses Komm-mal-klar-Ding. Ich glaube, dass die Scham mehr
Leute tötet als die Depression.»

Der Entertainer Harald Schmidt ist seit 2008 Schirmherr der Stiftung
Deutsche Depressionshilfe. Der «Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung» sagte er 2019 über Wissenslücken, dass etwa viele
glaubten, Schokolade helfe gegen Depression: «Ich denke, das ist auch
bei Krankheiten wie Rückenleiden oder Bluthochdruck so und gerade bei
den Beschwerden, die viele Menschen betreffen. Was man bei Depression
vielleicht als Faustregel festhalten kann: Es ist nicht hilfreich,
einem Erkrankten zu sagen, dass er mal die Seele baumeln lassen soll.
Sondern es braucht ein straffes Programm mit medikamentöser
Behandlung, mit Psychotherapie, mit Beschäftigung, mit Sport.» Was
genau helfe, müsse im Einzelfall entschieden werden.