Bundesweite Notbremse im Bundestag - Kliniken kurz vor Überlastung

Die bundesweite Notbremse soll zentral dazu beitragen, die
Corona-Zahlen in Deutschland wieder zu senken. Über das Instrument
wird aber gestritten - und gelten wird es frühestens nächste Woche.
Währenddessen spitzt sich die Situation in den Kliniken weiter zu.

Berlin (dpa) - Über die bundesweite Corona-Notbremse wird vor den
Beratungen im Bundestag am Freitag kontrovers diskutiert. Der
SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner schloss eine Zustimmung seiner
Bundestagsfraktion zum Gesetzesentwurf in der aktuellen Form aus.
«Wenn es keine Änderungen an dem Gesetzesentwurf in seiner jetzigen
Form gibt, wird die SPD-Fraktion nicht zustimmen», sagte Fechner der
«Rheinischen Post» (Freitag). «Die Ausgangssperren sind zu pauschal
gefasst, da muss es weitere Ausnahmen geben. Es muss beispielsweise
möglich bleiben, mit der Partnerin oder dem Partner abends noch
spazieren zu gehen oder draußen Sport zu machen.»

FDP-Chef Christian Lindner nannte die Planungen am Donnerstagabend in
der ZDF-Talkshow «Maybrit Illner» «nicht sachgerecht und
verfassungsrechtlich problematisch». Maßnahmen, die sinnvoll wären,
würden auf dem Tisch liegen. «Und ausgerechnet, wieder mit heißer
Nadel gestrickt, kommt die Regierung mit einem Gesetz, das die
offensichtlich pauschal nicht wirksame Ausgangssperre zum Gegenstand
hat.» Zudem schließe es Möglichkeiten aus, auf Basis von Tests
Öffnungsschritte zu gehen, und nehme als alleinige Orientierungsmarke
«diese 100er-Inzidenz».

Der Bundestag berät am Vormittag (9.00 Uhr) in erster Lesung über die
geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes gegen die dritte
Corona-Welle. Bundeseinheitlich sollen Regelungen für eine
Verminderung der Kontakte getroffen werden, wenn in einem Landkreis
oder einer Stadt mehr als 100 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner
binnen sieben Tagen kommen.

Ab 21 Uhr sollen etwa Ausgangsbeschränkungen greifen, um zu
verhindern, dass sich Menschen privat in Innenräumen treffen und
gegenseitig anstecken können. Noch am Nachmittag sollen die geplanten
Schritte in einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss
beraten werden. Die Verabschiedung des Gesetzes ist für Mittwoch
vorgesehen.

Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) warb bei «Maybrit Illner» für die
bundesweite Regelung und verwies auf einen besseren Überblick für die
Menschen bei einheitlichen Regeln: «Für die Bürgerinnen und Bürger

ist es gut, wenn da Klarheit existiert.»

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte den Zeitungen der
Funke Mediengruppe zu den Ausgangsbeschränkungen: «In vielen Ländern

mit hohen Inzidenzwerten - Portugal, Irland oder Frankreich - haben
Ausgangsbeschränkungen ganz offensichtlich gewirkt. (...) Die
Lebenswirklichkeit zeigt: Menschen gehen abends aus dem Haus, um
andere zu besuchen. Und das ist wieder eine zusätzliche
Kontaktaufnahme, die eine Infektionskette in Gang setzen kann.»

Laut einer Befragung von infratest dimap im Auftrag des
ARD-Deutschlandtrends hält eine Mehrheit der Deutschen die
Ausgangssperren in Gebieten mit hoher Inzidenz für richtig. 51
Prozent sprachen sich demnach dafür aus, 46 Prozent dagegen. Die
Anhänger von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken sprachen sich
mehrheitlich für eine Ausgangssperre aus, die Anhänger von FDP und
AfD lehnten diese ab.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hält die
bundesweite Notbremse für sinnvoll. «Was die Gesetzespläne zur
Notbremse angeht, das meiste davon ist sinnvoll und leider
unerlässlich», sagte Reinhardt der «Passauer Neuen Presse» (Freitag
).

Zur Situation in den Krankenhäusern sagte Reinhardt: «Überschritten
ist die Belastungsgrenze noch nicht, aber viele Kliniken sind kurz
davor. Das gilt sowohl für die normalen Stationen, besonders aber für
die Intensivabteilungen. Insgesamt bedeutet das für die
Krankenhäuser, dass man wieder mehr und mehr andere Eingriffe und
Behandlungen zurückfahren muss, um Kapazitäten für Corona-Patienten
zu schaffen.»

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, berichtete erneut
von einer dramatischen Lage: «Wir haben zwar noch einige Betten in
einigen Regionen frei, aber es gibt Ballungsgebiete wie Köln, Bremen
und Berlin, wo es richtig knapp wird», sagte Marx im Podcast «Leben
in Zeiten von Corona» des «Mannheimer Morgen».

In Mecklenburg-Vorpommern appellierte Gesundheitsminister Harry Glawe
(CDU) am Donnerstagabend an ehemalige Ärzte, Krankenschwestern und
Pfleger, in den Kliniken bei der Patientenversorgung mitzuhelfen.
«Wir brauchen qualifiziertes Personal, um die Herausforderungen der
nächsten Wochen bewältigen zu können.» Es helfe bereits, wenn sich

ehemalige Medizin-Fachkräfte für zwei oder drei Wochen oder einen
Monat zur Hilfe bereiterklärten. In dieser Zeit könnten sich die
Kollegen erholen, die momentan im Dienst seien, sagte der Minister.
Auch müssten andere dringende Operationen abgearbeitet werden.