Lange Gästeliste für «Impfgipfel» - Verbände haben hohe Erwartung en

Einst stand das Wort «Gipfel» für Treffen von einigen Staatsmännern
.
Das hat sich sehr geändert. Beim «Impfgipfel» in Baden-Württemberg

finden sich mehr als 70 Teilnehmer auf der Gästeliste. Sie haben
Erwartungen und Ideen - und sicher nicht mehr viel Geduld.

Stuttgart (dpa/lsw) - Es soll alles vorbereitet sein für den Tag, an
dem endlich so viel Impfstoff in den Regalen liegt, wie Land und
Ärzte seit Monaten hoffen. Mit hohen Erwartungen schalten sich
deshalb Verbände, Politiker und Experten am Freitag (11.00 Uhr) zum
sogenannten Impfgipfel des Landes zusammen. In der Videoschalte mit
Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) soll es vor allem um die
praktische Umsetzung des Impfens gehen.

Wer nimmt teil am Impfgipfel?

Auf der Teilnehmerliste stehen mindestens 76 Namen. Neben
Gesundheitsminister Lucha sind Kommunalpolitiker wie Heidelbergs
Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) dabei. Am Tisch sitzen aber auch
Ärztekammer, Apothekerverband und Krankenhausgesellschaft ebenso wie
die Regierungspräsidien, die kommunalen Landesverbände und
Krankenkassen, das Landesgesundheitsamt und Vertreter der
Impfzentren.

Ist die Liste nicht ein bisschen lang für ein Gipfeltreffen?

«Es ist in der Tat ein weites Teilnehmerfeld», sagte Carmen Gonzalez
vom Landesapothekerverband. «Aber es bildet auch ab, wie viele
kommunale Ebenen, Institutionen und Leistungserbringer am Gelingen
der Impfkampagne beteiligt sind.» Die Kassenärztliche Vereinigung
(KVBW) sieht das ähnlich: «Es sind nun mal so viele unterschiedliche
Institutionen an der Impfkampagne beteiligt», sagt Sprecherin Swantje
Middeldorff.

Was ist das Ziel des Gipfels?

Nach Angaben Luchas soll der Gipfel dazu dienen, die nächste Phase
der Impfkampagne in Baden-Württemberg vorzubereiten. Stehe deutlich
mehr Impfstoff zur Verfügung, breche «eine neue Phase für die
Impfungen im Land an», sagte der Minister vor den Gesprächen. Das
Impfen sei der wichtigste Schritt, um langfristig wieder zu einem
möglichst normalen Alltag zurückzukehren. Der Chef des Klinikums
Stuttgart, Jan Steffen Jürgensen, spricht von einem «Wettlauf gegen
die Zeit». Es seien alle gefordert.

Welche Erwartungen haben die anderen Teilnehmer?

Nicht nur die Wirtschaft drückt aufs Tempo. «Wir müssen jetzt den
Impf-Turbo zünden und dazu alle impffähigen Ärztinnen und Ärzte von

Anfang an und ohne Ausnahme aktivieren», fordern die Spitzenverbände
der Südwestwirtschaft, der Baden-Württembergische Industrie und
Handelskammertag (BWIHK) und die Unternehmer Baden-Württemberg (UBW).
Das sehen auch die Apotheker so. Die Kassenärztliche Vereinigung
fordert, dass Arztpraxen in gleichem Ausmaß mit Impfstoff
ausgestattet werden wie Impfzentren.

Der Städtetag dringt auf «ein gemeinsames Verständnis» für die
anstehende Phase. «Vor allem ein gutes Miteinander von zentralen
Impfzentren und Hausärzten ist notwendig, um reibungslos große Mengen
verimpfen zu können und den Weg dahin zu erleichtern», teilte der
Dachverband mit. Unter anderem schlagen Gemeinde- und Städtetag für
den Gipfel vor, Impfzentren über Juni hinaus parallel zur ärztlichen
Struktur zu betreiben.

Kommt so ein Gipfel nach einem ganzen Jahr mit Corona nicht ein
bisschen spät?

Keineswegs, sagen die meisten befragten Teilnehmer. «Die Impfkampagne
kommt doch gerade erst einmal so richtig in Fahrt», meint zum
Beispiel KVBW-Sprecherin Middeldorff. Es werde aber wahrscheinlich
nötig, sich häufiger in ähnlicher Runde auszutauschen. Allerdings
werden die großen Streitfragen wie die Impfberechtigung nach Ansicht
des Städtetags auf Bundesebene entschieden. «Auf Landesebene kann man
nur den Mangel verwalten, solange er anhält», sagte eine Sprecherin.

Wird die Idee eines solchen Gipfels auch kritisiert?

Aus der Opposition kam bereits Kritik, Lucha wolle von Versäumnissen
zum Beispiel bei Senioren ablenken. Es warteten noch zu viele
Menschen aus den höchsten Prioritätsstufen auf ihren Impftermin.
«Dass es hier immer noch nicht schnell genug voran geht, übersieht
der Minister fast schon leidenschaftlich gerne und wendet sich lieber
den Aufgaben zu, die auch ohne ihn gelöst werden», sagte der
Gesundheitsexperte der SPD-Landtagsfraktion, Rainer Hinderer.
Hausärzte wiederum fürchten, dass Impfchaos in ihre Praxen verlagert
wird.

Wie ist denn der Stand bei den Lieferungen?

Corona-Impfstoff kommt auch weiterhin nur stockend nach
Baden-Württemberg. Im April wird der Südwesten pro Woche rund 300 000

Dosen Corona-Impfstoff erhalten, wie ein Sprecher des
Landesgesundheitsministeriums mitteilt. Dabei könnten die Ärzte in
den Impfzentren täglich 80 000 Impfungen verabreichen. In den Praxen
der niedergelassenen Ärzte könnten laut einer Umfrage der
Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg ebenfalls bis zu
80 000 Impfungen am Tag gespritzt werden.

Und wie viel wird tatsächlich geimpft?

Hier zeigt sich das Missverhältnis aus Impfkapazitäten und
vorhandenem Impfstoff. Tatsächlich landen in den Impfzentren derzeit
täglich zwischen 40 000 und 45 000 Impfungen in den Armen der
Baden-Württemberger. In den Praxen habe es in der ersten Woche nach
dem dortigen Impfstart bis einschließlich Dienstag dieser Woche rund
161 000 Impfungen gegeben. Dies entspricht rund 23 000 Impfungen am
Tag.

Wie sieht es im Mai und Juni aus?

Es ist derzeit unklar, welchen Umfang die Impflieferungen ab Mai
haben werden. Das Ministerium rechnet damit, dass die Impfungen
«deutlich an Fahrt aufnehmen». Man hoffe, dass die Prognosen zuträfen

und man noch deutlich mehr Impfstoff erhalten werde, so dass die
Impfzentren und niedergelassenen Praxen endlich unter Volllast impfen
könnten, sagte ein Ministeriumssprecher und ergänzte: «Die
Infrastruktur dafür ist im Land ohne Zweifel vorhanden.» Die
Kassenärzte halten es sogar für möglich, dass die Menschen im
Südwesten bis Ende August gegen das Coronavirus geimpft sind. Es
müsse aber ausreichend Impfstoff geben und «der Hauptteil der Praxen»

impfen.