EKD-Ratsvorsitzender: Weniger Kirchenaustritte im Corona-Jahr 2020

Das Corona-Jahr 2020 hat die evangelische Kirche nach den Worten
ihres Ratsvorsitzenden für immer verändert. Die Abwanderung der
Mitglieder konnte abgebremst werden. Weniger gut sieht es bei den
Kirchensteuern aus.

Berlin (dpa) - Im Corona-Jahr 2020 sind deutlich weniger Menschen aus
der evangelischen Kirche ausgetreten als im Jahr zuvor. Nach
vorläufigen Zahlen hätten 10 bis 20 Prozent weniger Mitglieder der
Kirche den Rücken gekehrt, sagte der Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, der
Deutschen Presse-Agentur.

«Vielleicht ist es tatsächlich so, dass viele Menschen so ein Gefühl

hatten: In dieser Pandemie ist es doch ein Glück, dass wir die Kirche
mit allen ihren Einrichtungen haben, so fehlbar sie auch sein mag.»
Die Kirchensteuereinnahmen seien aufgrund der niedrigeren Einkommen
in der Corona-Krise allerdings deutlich geringer ausgefallen.

«In unserer bayerischen Landeskirche haben wir 2020 zum Beispiel bei
einem Haushaltsvolumen von 960 Millionen Euro einen Rückgang der
Erträge von 110 Millionen gehabt, der wesentlich durch
Kirchensteuerausfälle verursacht war», sagte der bayerische
Landesbischof. Das mache schmerzhafte Einsparungen unumgänglich. «Da
müssen jetzt Dinge gestrichen werden, auch segensreiche Dinge. Und
das tut weh.»

Insgesamt sieht Bedford-Strohm die Kirche durch die Pandemie aber
gestärkt. Ihre Angebote würden verstärkt in Anspruch genommen. «Bei

der Telefon-Seelsorge haben sich allein in der Chat-Seelsorge 70
Prozent mehr Menschen gemeldet. Davon sind die meisten junge Leute.
Das ist ein deutlicher Zuwachs.»

Über die Fernsehgottesdienste und digitalen, teils auch interaktiven
Formate hätten viele Menschen wieder neu zur Kirche gefunden. Der
Unterschied zur Gemeinde vor der Haustür sei, dass man online aus
einem riesigen Angebot auswählen könne. Da finde jeder das Richtige
für sich.

Insofern könne es sogar sein, dass die Kirche mit mehr
Gottesdienstbesuchern aus der Corona-Krise herauskomme, sagte
Bedford-Strohm. Auf jeden Fall werde sich die Kirche künftig
vielfältiger präsentieren. «Wir werden nicht mehr in den
Vor-Corona-Zustand zurückkehren. Gleichzeitig bin ich aber auch davon
überzeugt, dass die Leute ausgehungert sind nach physischem Kontakt.
Für das Gemeinschaftserlebnis sind digitale Formate nur ein
begrenzter Ersatz.»

Bedford-Strohm schlug eine Enquete-Kommission Corona-Folgen im
Bundestag vor. «Wir brauchen eine systematische Erfassung dessen, was
da im vergangenen Jahr in der Gesellschaft passiert ist», sagte er.
«Wir haben solche Kommissionen bei verschiedenen Fragen gehabt - etwa
beim Klimawandel oder der Digitalisierung.»

Aus seiner Sicht habe sich diese genaue Betrachtung der Themen aus
unterschiedlichen Perspektiven bewährt. «Ich verspreche mir von so
einer Enquete-Kommission eine Antwort auf die Frage: Was hat die
Pandemie im Bewusstsein der Menschen ausgelöst - und welche Chancen
auf Neubesinnung bietet das für die Zukunft?»

An die Parteien appellierte Bedford-Strohm, Lehren aus der
Corona-Pandemie zum zentralen Thema des Bundestagswahlkampfs zu
machen. «Die Politik hat jetzt die Chance, bestimmte Dinge neu zu
justieren», sagte er. «Da ist der Klimawandel auf jeden Fall eine
Frage, aber auch die soziale und weltweite Gerechtigkeit. Wir können
nicht damit weitermachen, dass jeden Tag weltweit 24 000 Menschen,
vor allem Kinder und Frauen, einen vermeidbaren Tod als Folge von
Mangel- und Unterernährung sterben.» Er erwarte von der Politik, dass
sie im Wahlkampf über diese Fragen spreche. «Die Leute haben ein sehr
genaues Gespür dafür, ob es nur um persönliche und um
Partei-Interessen geht oder ob wirklich das große Ganze im Zentrum
steht.»