Schule in Corona-Zeiten: Defizite offenbart

Viele Schüler leiden unter den Einschränkungen durch die
Corona-Krise. Experten wünschen sich pragmatischere Lösungen. Vor
allem beim Thema Digitalisierung gibt es Nachbesserungsbedarf.

Berlin (dpa) - Die Corona-Pandemie hat weltweit massive Auswirkungen
auf die Lernergebnisse und Entwicklungschancen von Kindern und
Jugendlichen. Wie gut die Länder mit der Situation klar gekommen
sind, hängt meist mit dem Gestaltungsspielraum der Lehrer zusammen.
«Bildungssysteme, in denen die Lehrkräfte gewohnt sind, eine
innovative Lernumgebung zu schaffen, sind auch in schwierigen
Infektionslagen ganz gut und ohne lange Schulschließung durch diese
Krise gekommen», sagte der Bildungsdirektor der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Andreas
Schleicher, am Mittwoch bei der Vorstellung einer Umfrage unter den
OECD-Mitgliedstaaten.

In vielen Ländern wurden demnach Präsenz- und Fernunterricht
abgewechselt oder die Schüler in Schichten eingeteilt. Auch besondere
Förderangebote für benachteiligte Schüler oder Schüler, die keinen

Zugang zu digitalen Lernangeboten hatten, waren häufig. Um die
Unterrichtszeiten anzupassen, wurde etwa in Portugal und Brasilien
das Schuljahr in die Ferien verlängert. Einige Länder setzten im
Lehrplan schwerpunktmäßig auf die wichtigsten Fächer. «Da haben vie
le
Länder relativ schnell reagiert», sagte Schleicher. Deutschland sei
das nicht so gut gelungen.

Die Studie zeigt aus Sicht von FDP-Fraktionsvize Katja Suding ein
altbekanntes Problem: «Unser Bildungssystem ist an vielen Stellen
behäbig und langsam», sagte sie. Länder, in denen die Lehrkräfte me
hr
Gestaltungsspielraum hätten, konnten wesentlich schneller auf die
Corona-Krise reagieren und Schüler auch unter den erschwerten
Bedingungen deutlich zuverlässiger unterrichten.

In rund 80 Prozent der Länder unterstützt die Regierung laut
OECD-Studie den Kauf von technischen Endgeräten für Schüler und
Lehrer. Auch in die Infrastruktur ländlicher Gebiete investierten die
meisten (80 Prozent). Staaten wie Estland oder Tschechien hätten
einen enormen Vorteil gehabt, da sie schon lange vor der Pandemie die
digitale Infrastruktur ausgebaut hätten, betonte
OECD-Bildungsdirektor Schleicher. Hierzulande habe man zehn Jahre zu
spät angefangen. «Deutschland ist von dieser Pandemie im Bereich
Digitalisierung kalt erwischt worden.»

In Deutschland beraten Bund und Länder seit einiger Zeit über ein
milliardenschweres Nachhilfe-Programm. Das soll allerdings erst im
Herbst starten. Man wolle ganz bewusst erst in das neue Schuljahr
damit gehen, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am
Mittwoch im Bundestag mit Blick auf die Belastungen für Familien und
Schüler im laufenden Jahr. «Deswegen sollten wir ihnen jetzt nicht
noch zusätzliche Aufgaben geben, sondern ab dem Herbst das
Nachholprogramm starten.» Sie forderte die Länder - die für Schule
selbst zuständig sind - auf, jetzt Lernstände bei den Schülern zu
erheben, weil sie nur dann gezielt nachsteuern könnten.

Eine wichtige Lektion aus der Corona-Pandemie ist laut OECD, dass
digitale Alternativen für jüngere Schüler kaum funktionieren. «Der

Präsenzunterricht ist gerade für jüngere Schüler durch nichts zu
ersetzen», sagte der OECD-Experte. Das hätten die meisten Länder auch

verstanden, weshalb die Grundschulen oft offen waren, selbst wenn die
weiterführenden Schulen geschlossen hatten.

In Deutschland waren Grundschüler nach den Schulschließungen im
Winter im Februar als erste wieder in ihre Einrichtungen
zurückgekehrt. Nach und nach kamen seit März auch ältere Schüler im

Wechselunterricht zurück. Einige Klassen sind aber seit Dezember bis
heute nicht wieder in der Schule gewesen und durch die dritte Welle
wackelt der ganze Rückkehrprozess.

So hatte etwa Nordrhein-Westfalen an die Osterferien noch eine Woche
Distanzunterricht angehängt. Ab nächsten Montag sollen die Schüler
nun wieder wechselweise in die Klassenzimmer zurückkommen, sofern der
Inzidenzwert jeweils regional unter 200 liegt. In vielen anderen
Ländern läuft der Präsenzunterricht bereits wieder, aber die
Ungewissheit ist groß, wie lange noch.

Bisher haben die Länder unterschiedliche Regeln: Manche schicken ihre
Schüler zurück in den sogenannten Distanzunterricht, wenn die
Inzidenz in einer Stadt oder einem Landkreis bei 100 liegt, manche
haben höhere Werte, oder gar keinen Grenzwert, wie Sachsen.

Mit der vom Kabinett am Dienstag auf den Weg gebrachten
«Bundes-Notbremse», die noch Bundestag und Bundesrat passieren muss,
soll es künftig aber bundeseinheitliche Regeln auch bei
Schulschließungen geben. Überschreitet in einem Landkreis oder einer
kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die
7-Tage-Inzidenz 200, soll Präsenzunterricht an Schulen untersagt
werden.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und brandenburgische
Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) begrüßte das Vorhaben. Mit
Blick auf das bisherige Verfahren mit Ministerpräsidentenkonferenzen,
anschließenden Änderungen der jeweiligen Corona-Landesregelungen und
schließlich oft sehr kurzfristigen Informationen für Schulen sagte
die SPD-Politikerin am Mittwoch bei einer Online-Diskussion des
Beamtenbundes dbb: «Wenn dieses Bundesgesetz allein dafür schon
helfen würde, wäre es glaube ich ein guter Schritt, weil das hat alle
Nerven strapaziert.»