Zweifel an Astrazeneca stören Impfkampagne Von Basil Wegener und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Droht der Impfstoff von Astrazeneca zum Ladenhüter zu werden, obwohl
Millionen Menschen über 60 noch nicht geimpft sind? Bei den Ärzten
gilt er bereits als umstritten. Doch Ankündigungen aus Brüssel machen
Hoffnung.

Berlin/Brüssel (dpa) - Ärger um die Impfstoffe von Astrazeneca und
Johnson & Johnson stört die Impfkampagne in Deutschland. So sollen
alle unter 60-Jährigen, die eine Erstimpfung mit Astrazeneca erhalten
haben, in der Regel die Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna
für die Zweitimpfung erhalten. Aber auch eine Zweitimpfung mit
Astrazeneca soll auf Wunsch weiter möglich sein. Deutschlands
oberster Kassenarzt, Andreas Gassen, bezeichnete Astrazeneca bereits
als den «umstrittenen» Impfstoff und wehrte sich dagegen, dass auch
Hausärzte ihn in großen Mengen verimpfen sollen. In Brüssel teilte
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit, dass die EU bis Ende
Juni 50 Millionen zusätzliche Biontech/Pfizer-Dosen bekommt. Auf
Deutschland entfielen im zweiten Quartal dann statt 40,2 Millionen
insgesamt knapp 50 Millionen Dosen dieses Impfstoffs.

Hintergrund der Aufregung um die Impfstoffe ist, dass Astrazeneca in
Deutschland nur noch für die über 60-Jährigen empfohlen wird. Der
Einsatz für Jüngere bleibt nach ärztlichem Ermessen bei Menschen ohne

höheres Blutgerinnsel-Risiko freiwillig möglich. Der Grund für die
Einschränkung ist, dass es zuletzt 42 Verdachtsfälle einer
Sinusvenenthrombose nach Astrazeneca-Impfung gab. 3,8 Millionen Mal
wurde Astrazeneca inzwischen in Deutschland verimpft. Von den 42
Fällen sind 35 Frauen zwischen 20 und 63 Jahren betroffen gewesen. 8
Betroffene starben. In Dänemark wird die Impfkampagne nun ganz ohne
das Präparat des britisch-schwedischen Unternehmens fortgesetzt.

BESCHLUSS ZU ASTRAZENECA: 

Die Gesundheitsminister der Länder beschlossen im Einklang mit der
Ständigen Impfkommission, dass es für Menschen unter 60 mit einer
Astrazeneca-Erstimpfung nun zwei Optionen gibt: Zweitimpfung mit
Biontech/Pfizer oder Moderna oder Zweitimpfung mit Astrazeneca.
Voraussetzung für die zweite Option ist die gemeinsame Entscheidung
mit dem Arzt nach ärztlichem Ermessen, Risikoanalyse und Aufklärung.
«Dies soll grundsätzlich in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen

und Ärzte erfolgen.» Gleiches gilt für Personen unter 60 aus den
Vorranggruppen eins und zwei der Impfpriorisierung. Ansonsten soll
Astrazeneca für Menschen über 60 zum Einsatz kommen. Beschlossen
wurde, dass die Länder auch die 60- bis 69-Jährigen für diesen
Impfstoff mit in ihre Impfkampagne einbeziehen können. So könne
«diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große Altersgruppe
angesichts der wachsenden dritten Welle nun schneller» geimpft
werden.

IMPFQUOTEN BEI 60 PLUS:

Millionen Menschen über 60 haben noch gar keinen Impfschutz. Laut
Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland gut 23,7 Millionen
Menschen über 60, das sind rund 28,5 Prozent der Bevölkerung. Laut
Robert Koch-Institut (RKI) schwanken die Quoten der Erstgeimpften in
dieser Altersgruppe in den Ländern zwischen 30,5 Prozent in
Mecklenburg-Vorpommern und 35,8 Prozent in Niedersachsen am unteren
Ende der Skala - und 47,3 Prozent beim Spitzenreiter Bremen. Für
manche Länder gibt es keine Angaben.

STREIT UM ASTRAZENECA:

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV), Gassen, kritisierte, dass die Hausärzte nun weniger
Biontech-Impfstoff als zu Beginn und dafür auch Astrazeneca bekommen.
Die Impfkampagne werde so massiv ins Stocken geraten, sagte er der
«Neuen Osnabrücker Zeitung» (Mittwoch). «Das darf nicht passieren!
»
Ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies Gassens
Behauptung zurück, dass die Impfstoff-Lieferungen an die Arztpraxen
halbiert würden. «Vielmehr steigert sich die Impfstoffmenge stetig.
Außerdem war immer klar, dass nach zwei Wochen die Praxen Impfstoffe
unterschiedlicher Hersteller bekommen.» In der laufenden Woche gehen
rund eine Million Biontech-Dosen an die Arztpraxen, in der kommenden
Woche sollen es rund 462 000 Dosen Biontech und gut 554 000 Dosen
Astrazeneca sein, in der letzten Aprilwoche dann 1,16 Million Dosen
Biontech und 343 000 Dosen Astrazeneca. Brandenburg setzt seine
Einladungen zur Impfung aus, um mit den vorhandenen Biontech- und
Moderna-Dosen Astrazeneca bei Zweitimpfungen zu ersetzen.

VORGEZOGENE BIONTECH-LIEFERUNGEN:

Biontech und Pfizer wollen bis Ende Juni zusätzlich 50 Millionen
Dosen Corona-Impfstoff an die EU-Staaten liefern, wie von der Leyen
mitteilte. Es handele sich um eine Lieferung, die aus dem vierten
Quartal vorgezogen werde. Im zweiten Quartal von April bis Juni kämen
somit insgesamt 250 Millionen Dosen Impfstoff von Biontech/Pfizer.
Die Lieferung werde nach Bevölkerungsanteil auf die 27 EU-Staaten
verteilt. Dieser liegt für Deutschland bei 18,6 Prozent. Von der
zusätzlichen Lieferung kann Deutschland also rechnerisch gut 9
Millionen Dosen erwarten. Dies könnte mögliche Ausfälle beim
Impfstoff von Johnson & Johnson zum Teil wettmachen. Von der Leyen
kündigte zudem Verhandlungen mit Biontech/Pfizer über weitere 1,8
Milliarden Impfdosen für die Zeit von 2021 bis 2023 an.

JOHNSON @ JOHNSON:

Die Folgen des Impfstopps mit dem Präparat von Johnson & Johnson in
den USA und die Verzögerungen des Marktstarts in der EU sind unklar.
Grund waren auch hier Berichte über Hirnvenenthrombosen. In den USA
waren sechs Fälle erfasst worden. Die Europäische Arzneimittelbehörde

(EMA) will kommende Woche ein Gutachten dazu abgeben. Bis dahin könne
der Impfstoff aber weiter uneingeschränkt eingesetzt werden - die
«Vorzüge des Impfstoffes, Covid-19 zu verhindern», seien höher zu
bewerten als die Risiken von Nebenwirkungen. In der EU ist der
Impfstoff zugelassen. In Deutschland sollen im zweiten Quartal 10,1
Millionen Dosen und 2021 insgesamt 36,7 Millionen Dosen geliefert
werden.

STAND DER IMPFUNGEN UND LIEFERPROGNOSEN:

Als erstes Bundesland hat Bremen die 20-Prozent-Marke bei den
Erstgeimpften überschritten, gefolgt vom Saarland mit 19,3 Prozent
der Bevölkerung. Die Schlusslichter sind laut nationalem
Impf-Dashboard Hessen und Mecklenburg-Vorpommern mit unter 16
Prozent. Insgesamt sind bundesweit nun 16,9 Prozent mit mindestens
einer Impfung ausgestattet. 19 Millionen Impfdosen wurden
verabreicht. 530 000 kamen am Vortag hinzu. Im zweiten Quartal sollen
nun insgesamt knapp 50 Millionen Biontech/Pfizer-Dosen ankommen, bis
zu 15,4 Millionen von Astrazeneca, 10,1 von Johnson @ Johnson, 6,4
Millionen von Moderna und 1,4 Millionen von Curevac. SPD-Experte Karl
Lauterbach forderte auf Twitter eine Notfallzulassung für das noch
nicht zugelassene Curevac, da Lücken für «die große Gruppe der
Unter-60-Jährigen» gefüllt werden müssten.