Coronazahlen steigen - Diskussion um neue Bundes-Bremse

Die Ministerpräsidenten fanden keine gemeinsame Corona-Linie mehr,
doch auch die Ausgestaltung neuer Regeln des Bundes ist hakelig. Viel
Kritik gibt es besonders in einem Punkt.

Berlin (dpa) - Deutschland steuert langsamer als zunächst anvisiert
auf bundesweite Vorgaben in der Corona-Krise zu, doch die
Infektionszahlen steigen deutlich. So lag am Mittwochmorgen die Zahl
der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bei 153,2.
Ähnlich hoch hatte sie zuletzt Mitte Januar (155 am 13. Januar)
während der zweiten Welle gelegen. Auch die Intensivstationen füllen
sich.

Doch die Politik ringt weiter um die am Dienstag vom Kabinett
beschlossenen bundesweiten Vorgaben. Eine Verabschiedung im Bundestag
in dieser Woche ist vom Tisch, im Parlament wird noch über Änderungen
beraten. Am Montag soll eine neue Version unter anderem den
Gesundheitsausschuss passieren, die nach aktueller Planung dann am
Mittwoch vom Plenum verabschiedet würde.

«Die bisherigen Maßnahmen haben nicht den erhofften durchschlagenden
Erfolg gebracht», sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der Deutschen
Presse-Agentur. Klar sei aber auch, dass der Bundestag bei den
geplanten neuen Regeln noch nachbessern müsse. «So sollte zum
Beispiel Sport und Bewegung im Freien durchgehend weiter möglich
sein. Ansteckungen finden nach Expertenmeinung fast ausnahmslos in
Innenräumen statt», sagte Wiese. «Ein Verbot von Bewegung an der
frischen Luft zwischen 21 Uhr und 5 Uhr halte ich daher für falsch.»
Wichtig sei auch, dass Kinder und Jugendliche draußen im kleinen
Kreis Vereinssport betreiben könnten.

Der Kabinettsbeschluss sieht eine Reihe von Einschränkungen vor für
Landkreise und kreisfreie Städte, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz
drei Tage hintereinander über 100 liegt. Dieser Wert gibt an, wie
viele Menschen sich pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen
infizieren. So soll von 21.00 bis 5.00 Uhr der Aufenthalt außerhalb
einer Wohnung oder eines dazugehörigen Gartens im Grundsatz nicht
erlaubt sein, wobei es Ausnahmen gibt.

Die FDP übte insbesondere an diesem Punkt heftige Kritik. Ihr Erster
Parlamentarischer Geschäftsführer Marco Buschmann sprach von einer
schweren Grundrechtseinschränkung und einer «grobschlächtigen
Methode». Das Argument, man brauche diese Beschränkungen, um die
Menschen von unzulässigen Kontakten abzuhalten, sei von Gerichten
bereits als zu schwach verworfen worden. «Der Entwurf ist allein
deshalb schon hochgradig angreifbar.» Grundsätzlich erwarte er eine
«Flut von Verfassungsbeschwerden». Die FDP werde geschlossen gegen
die Neuerungen stimmen, «wenn das Gesetz sich nicht substanziell
ändert».

Der Handelsverband HDE forderte Nachbesserungen an der geplanten
nächtlichen Ausgangsbeschränkung. «Gerade in Zeiten der Pandemie geht

es darum, das Kundenaufkommen zu entzerren und so Kontakte zu
minimieren sowie Schlangen zu vermeiden. Deshalb sollte eine
Ausgangssperre nicht vor 22 Uhr ansetzen», sagte
HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem «Handelsblatt». «Für
das
Personal der Lebensmittelhändler müssen dann entsprechende Ausnahmen
für den Weg nach Hause gelten.»

Linkspartei-Chefin Janine Wissler bemängelte wie auch die Grünen, die
Vorgaben für die Arbeitswelt gingen nicht weit genug. «Die
Einschränkungen im Privatbereich werden mit Ausgangsbeschränkungen
weiter verschärft, obwohl die Wissenschaft sehr deutlich sagt, dass
Ansteckungen vor allem in Innenräumen stattfinden und
Ausgangsbeschränkungen keinen großen Beitrag zum Infektionsschutz
leisten», sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch).
«Im Beruf wird dagegen vollkommen unzureichend nachgezogen.» Es
brauche mehr Homeoffice, mindestens drei Tests pro Woche am
Arbeitsplatz und Luftfilter und Lüftungsanlagen für Schulen. Die
Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Amira Mohamed Ali, sagte der
«taz»: «Wir werden diesem Entwurf nicht zustimmen.»
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ließ gegenüber der «
taz»
offen, wie ihre Fraktion abstimmen wird.