Jüngere Astrazeneca-Geimpfte sollen auf anderes Präparat umsteigen

Was machen unter 60-Jährige, die bereits einmal mit dem Vakzin von
Astrazeneca geimpft worden sind? Die Gesundheitsminister sprechen
jetzt eine klare Empfehlung aus - anders als die WHO.

Berlin (dpa) - Klarheit für mehr als zwei Millionen Menschen unter 60
Jahren, die in Deutschland bereits eine Erstimpfung mit Astrazeneca
erhalten haben: Sie sollen bei der notwendigen Zweitimpfung auf ein
anderes Präparat umsteigen. Auf diese Empfehlung haben sich die
Gesundheitsminister von Bund und Ländern einstimmig geeinigt. Sie
folgen damit dem Vorschlag der Ständigen Impfkommission (Stiko) von
Anfang April.

Bei den Beratungen sei klar geworden, dass die Zweitimpfung mit einem
mRNA-Imfpstoff, also dem Präparat von Biontech/Pfizer oder Moderna,
eine gute Basis sei, um die Menschen wirksam zu schützen, sagte der
Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef
Klaus Holetschek, am Dienstagabend der Deutschen Presse-Agentur in
München.

Hintergrund der Empfehlung sind Fälle von Hirnvenen-Thrombosen nach
einer Impfung mit Astrazeneca. Experten vermuten, dass das sehr
geringe Risiko vor allem jüngere Menschen betrifft. Bund und Länder
hatten deshalb kürzlich beschlossen, dass in der Regel nur noch
Menschen über 60 mit Astrazeneca geimpft werden sollen. Laut
Bundesgesundheitsministerium haben in Deutschland aber bereits rund
2,2 Millionen Menschen unter 60 eine erste Impfung mit dem Präparat
erhalten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bisher noch keine
Empfehlung für sogenannte Kreuzimpfungen gegen das Coronavirus
ausgesprochen. Es lägen noch keine ausreichenden Daten für mögliche
Risiken einer ersten Impfdosis mit Astrazeneca und einem anderen
Mittel als Zweitimpfung vor, hatte WHO-Sprecherin Margaret Harris am
vergangenen Freitag erklärt. Sie bezog sich auf eine vorläufige
Empfehlungen eines WHO-Expertengremiums von Februar. Demnach solle
vorläufig das gleiche Produkt für beide Impfungen gespritzt werden.

Berichte über Sinusvenen-Thrombosen haben inzwischen auch den
Pharmakonzern Johnson & Johnson alarmiert. Er kündigte am Dienstag
an, den Marktstart seines Impfstoffs in Europa zu verzögern. Zuvor
hatten die Behörden in den USA eine vorübergehende Aussetzung der
Impfungen mit dem Wirkstoff empfohlen, nachdem bei sechs Menschen im
Land nach der Impfung solche Blutgerinnsel diagnostiziert worden
waren.

In der EU ist der Impfstoff von Johnson & Johnson am 11. März
zugelassen worden. Die Brüsseler Behörde erwartet bis Ende Juni 55
Millionen Dosen des Impfstoffs. Gut 10 Millionen Dosen sollen nach
Deutschland gehen. Das Präparat ist ebenso wie das von Astrazeneca
ein sogenannter vektorbasierter Impfstoff. Er nutzt ein harmloses
Virus, um Erbinformationen des Coronavirus in den Körper zu
schleusen. Stiko-Chef Thomas Mertens erklärte auf Anfrage, dass es
jetzt zunächst Aufgabe der EMA sei, die erfolgte Zulassung zu prüfen.
Folgen für Deutschland würden sich aus der verzögerten Auslieferung
des Impfstoffes in Deutschland ergeben. Für weitergehende Aussagen
sei es zu früh.

Angesichts der Entwicklung warnen Immunologen vor einem Scheitern der
deutschen Impfstrategie und fordern von Bundesregierung schnelle
Nachbestellungen von mRNA-Impfstoffen im nationalen Alleingang. Wenn
sich bewahrheiten sollte, dass Nebenwirkungen bei Johnson & Johnson
ähnlich häufig seien wie bei Astrazeneca, wäre die Konsequenz, dass
auch dieser Impfstoff Menschen unter 60 nicht verabreicht werden
sollte, sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für
Immunologie, Carsten Watzl, der «Augsburger Allgemeinen» (Mittwoch).

Für die Impfung der unter 60-Jährigen stehe jedoch bis Herbst nicht
ausreichend mRNA-Impfstoff zur Verfügung. «Der deutschen Impfkampagne
droht ein großes Problem, deswegen muss die Bundesregierung jetzt
reagieren und sowohl mit Biontech als auch mit Curevac in neue
Verhandlungen treten und mehr Impfdosen für Deutschland sichern»,
sagte Watzl. «Deutschland sollte hier einen Alleingang wagen, da es
über die EU zu lange dauert und jetzt viele andere Länder ähnlich
aktiv werden.»

Die niedergelassenen Ärzte kritisieren unterdessen eine
Benachteiligung gegenüber Impfzentren in der Corona-Impfkampagne.
«Den Praxen werden in den kommenden Wochen viel weniger
Biontech-Dosen zugewiesen als versprochen, weil der Impfstoff
offensichtlich vorrangig an die Impfzentren geht», sagte Andreas
Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV), der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Mittwoch). «Die Zuteilung f
ür
die Hausärzte wurde halbiert. Daher wächst bei den niedergelassenen
Ärzten die Sorge, dass sie in den kommenden Wochen eher weniger als
mehr am Impfgeschehen teilhaben können.»

Zwar erhalten die Arztpraxen den Angaben zufolge als Ausgleich für
Biontech-Kürzungen mehr Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs. «Aber das
wird so nicht aufgehen», warnte Gassen. «Wenn die Impfzentren
komplett den vergleichsweise unproblematischen Impfstoff erhalten,
die Praxen aber den umstrittenen, der zumal den unter 60-Jährigen
nicht gespritzt werden darf, wird die Impfkampagne massiv ins Stocken
geraten. Das darf nicht passieren!»