Drosten hält weitere Maßnahmen neben Corona-Notbremse für nötig

Seit Wochen kommen aus Wissenschaft und Medizin Rufe nach einer
Verschärfung des Lockdowns in Deutschland. Entspricht die geplante
bundesweite Corona-Notbremse den Forderungen? Christian Drosten ist
skeptisch.

Berlin (dpa) - Wegen der Lage auf den Intensivstationen erwartet der
Virologe Christian Drosten, dass zusätzlich zur geplanten
bundesweiten Corona-Notbremse weitere Maßnahmen nötig sein werden.
«Ich denke, dass man anhand der sich jetzt einstellenden Situation in
den Krankenhäusern auch noch mal anders reagieren muss», sagte der
Corona-Experte von der Berliner Charité am Dienstag im Podcast
«Coronavirus-Update» bei NDR-Info. Dies müsse sicherlich in
«allernächster Zeit» geschehen. «Ich erwarte jetzt nicht ohne
weiteres, dass man damit die Situation in der Intensivmedizin
kontrollieren kann», sagte Drosten mit Blick auf die Entscheidung.

Das Bundeskabinett hat am Dienstag eine Änderung des
Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Damit müssen sich die Menschen
in weiten Teilen Deutschlands auf Ausgangsbeschränkungen und
geschlossene Läden nach bundesweit verbindlichen Vorgaben einstellen.
Kommende Woche sollen die Neuerungen erst vom Parlament beschlossen
werden und dann den Bundesrat passieren - trotz deutlicher Kritik
einiger Länder und der Opposition im Bundestag.

Über die eingeschränkte Aussagekraft der Corona-Meldezahlen nach
Ostern sagte Drosten: «Wir müssen wahrscheinlich bis Ende dieser
Woche warten, um wieder realistische Zahlen zu sehen.» Er befürchte,
dass man dann wieder in einem Bereich zwischen 20 000 und 30 000
täglich gemeldeten Neuinfektionen landen werde. Durch die Osterferien
sieht der Virologe allerdings für die Schulen zunächst einen
«nachhaltigen Entschleunigungseffekt», wie er sagte.

Weiter erinnerte Drosten daran, dass man sich nach einem negativen
Schnelltestergebnis nicht in falscher Sicherheit wiegen dürfe. «Es
ist nicht alles so simpel, wie das zum Teil in der Politik auch
argumentativ verarbeitet wird. So nach dem Motto: Jetzt kann ja alles
öffnen, weil wir haben ja jetzt Schnelltests.»

In der Praxis stellten Fachleute fest, dass es bei diesen Tests eine
Lücke beim Erkennen von Infektionen in der Frühphase gebe, schilderte
Drosten. Noch fehlten zwar Studien dazu. Beobachtet werde aber, dass
die Tests nur beim größten Teil der ansteckenden Tage anschlagen:
Beim Testen direkt bei Symptombeginn könne der Test jedoch noch
negativ ausfallen. Ein Labortest (PCR) hingegen könne im Vergleich
schon mehrere Tage vorher eine Ansteckung anzeigen.

Den Einsatz von Schnelltests bei Menschen mit Symptomen und die
regelmäßige Anwendung zum Beispiel in Schulklassen und am
Arbeitsplatz hält Drosten dennoch für gerechtfertigt und sinnvoll.
Zwar könne eine frische Infektion dann in einzelnen Fällen übersehen

werden - aber wenige Tage später falle sie auf. «Nur eine Sache ist
eben etwas gefährlich», sagte er: die Vorstellung, nicht ansteckend
zu sein, wenn man etwa an der Kasse zu einem Veranstaltungssaal oder
an der Pförtnerloge zu einem Behördengebäude den Test mache.
Infizierte könnten dann durchrutschen und andere Menschen anstecken.

Über neue Studien zur in Großbritannien entdeckten Variante B.1.1.7,
in denen entgegen früherer Daten keine Belege für eine höhere
Tödlichkeit der Variante gesehen werden, sagte Drosten, diese
änderten für ihn das Bild nicht komplett. Eine der Studien kann
anhand ihrer Stichprobe nur Aussagen über Fälle machen, die mit
Covid-19 im Krankenhaus behandelt wurden. Drosten bilanzierte, er
würde die bisherigen Studien für die Ebene der ganzen Bevölkerung
weiter so stehenlassen.

Als «ganz schlechte Entwicklung» bezeichnete Drosten wählerisches
Verhalten von über 60-Jährigen in Bundesländern, in denen man sich
den Corona-Impfstoff aussuchen kann. Manche dieser älteren Menschen
wollten nun nicht mit Astrazeneca geimpft werden und warteten lieber
ab, bis sie das Präparat von Biontech/Pfizer bekommen könnten.

«Da muss man wirklich sagen, dann nimmt man im Juni einem Jüngeren
die Impfung weg. Und das ist wirklich nicht in Ordnung», sagte der
Virologe. «Ich finde es nicht gut, wenn Ältere jetzt an dieser Stelle
wählerisch sind.» Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt
Astrazeneca mittlerweile für Menschen ab 60. Hintergrund sind seltene
Fälle von Blutgerinnseln in Hirnvenen jüngerer Menschen.