Bundes-Notbremse stößt im Handel auf scharfe Kritik

Der Handelsverband HDE wirft der Bundesregierung vor, bei ihren
Plänen für einen härteren Lockdown wissenschaftliche Erkenntnisse zu

ignorieren. Und auch immer mehr Handelsketten protestieren lautstark
gegen die drohenden Ladenschließungen.

Berlin (dpa) - Die Pläne der Bundesregierung für einen
härteren Lockdown im Einzelhandel bei hohen Corona-Inzidenzzahlen
stoßen in der Branche auf scharfe Kritik. Der Hauptgeschäftsführer
des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth, sagte der
Deutschen Presse-Agentur: «Es ist nicht zu verstehen, warum sich das
Bundeskabinett entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse für
Verschärfungen zulasten des Einzelhandels im Infektionsschutzgesetz
entschieden hat.» Beim Einkauf bestehe nachgewiesenermaßen nur ein
geringes Infektionsrisiko. Auch die Chefs der Textilhandelsketten
Kik, s.oliver und Ernstings family kritisierten die Pläne der
Bundesregierung.

In einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten verlangte der HDE,
es dürfe keine weiteren Beschränkungen des Einzelhandels im
«Notbremsfall» über das bisher Übliche hinaus geben. Angesichts der

Tatsache, dass vom Einzelhandel nach Einschätzung des
Robert-Koch-Instituts nachweislich keine erhöhte Infektionsgefährdung
ausgehe, seien die im Gesetzentwurf vorgesehenen zusätzlichen
Beschränkungen des Einzelhandels völlig unverhältnismäßig und unt
er
dem Gesichtspunkt der Pandemiebekämpfung auch nicht zielführend.

Die am Dienstag von der Bundesregierung beschlossenen Änderungen des
Infektionsschutzgesetzes sehen unter anderem vor, dass bei einer
höheren Inzidenz die meisten Läden sowie die Gastronomie nicht öffnen

dürfen. Ausgenommen werden sollen der Lebensmittelhandel,
Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken,
Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen
,
Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte,
Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. Hier sollen
Abstand- und Hygienekonzepte gelten.

Mehrere große deutsche Textilhändler hatten noch unmittelbar vor der
Entscheidung der Bundesregierung Kritik an den Plänen geübt. «Der
Politik fällt wieder einmal nichts anderes ein, als den Einzelhandel
zu schließen. Das ist keine Strategie - das sind willkürliche
Maßnahmen, die auf dem Rücken einzelner Branchen und der Mitarbeiter
ausgetragen werden», sagte der Chef des Modeunternehmens s.Oliver,
Claus-Dietrich Lahrs, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Chef der Textilkette Ernstings family, Timm Homann, sprach von
einem «Totalversagen des politischen Krisenmanagements». Für den
Handel bedeuteten die Pläne der Bundesregierung eine weitere komplett
verlorene Saison mit unverkaufter Ware und horrenden Kosten.
Gleichzeitig gebe es keine seriösen Hilfestellungen für den Handel.
«Was hier passiert, kommt einer Enteignung gleich», sagte Homann.
Jetzt könne nur die Judikative «diesen Irrsinn beenden».

Der Chef des Textil-Discounters Kik, Patrick Zahn, sagte, er sei
bereit, einen kurzfristigen harten Lockdown mitzutragen. «Aber so wie
die Änderungen im Infektionsschutzgesetz nun angelegt sind, ist es
keine wirkliche Perspektive aus dem Lockdown heraus.»

Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion,
Reinhard Houben, übte deutliche Kritik: «Die Bundesregierung darf den

Einzelhandel nicht weiter zum Prügelknaben ihrer gescheiterten
Corona-Politik machen», erklärte er. Die geplanten Beschränkungen
seien lediglich eine Ersatzhandlung für die fehlende Strategie des
Bundes.