Parallelwelt aus Waffen, Wut und Hass - Prozess gegen die «Gruppe S.» Von Nico Pointner, dpa

Ein Dutzend Männer im Kampf gegen die Demokratie? Im Prozess gegen
zwölf mutmaßliche Rechtsterroristen in Stuttgart tun sich Abgründe
auf. Ein Ausflug in die rechte Unterwelt, der an den NSU erinnert.

Stuttgart (dpa) - Es sind zwölf ganz unterschiedliche Männer, die da
auf der Anklagebank sitzen. Einer ist Krankenpfleger, einer
Trockenbauer, einer Lagerist, mehrere sind arbeitslos. Der eine ist
61 Jahre alt, der andere gerade mal 32. Der eine kommt aus Minden in
Nordrhein-Westfalen, der andere aus München in Bayern. Der eine trägt
die Haare schulterlang, der andere trägt Glatze. Aber glaubt man der
Bundesanwaltschaft, verbindet alle zwölf Männer eine Gemeinsamkeit:
der Hass auf Ausländer, auf Muslime und Juden, auf politisch
Andersdenkende. Und der Wunsch nach einer neuen Gesellschaftsordnung,
einem anderen Deutschland, das mit Gewalt geschaffen werden muss.

Diese Gemeinsamkeit ist der Grund, warum die zwölf Männer hier nun
sitzen, am Dienstag vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim,
wo sich in den 70er Jahren bereits die Anführer der Rote Armee
Fraktion verantworten mussten. Nun geht es um rechtsextremen Terror.
Die terroristische Vereinigung «Gruppe S.», benannt nach ihrem
mutmaßlichen Rädelsführer Werner S., soll Schwerter und Schusswaffen

gehortet und Anschläge geplant haben. Sie wollten Moscheen in kleinen
Ortschaften überfallen und Muslime töten, die Pläne sollen zum Ende
hin sehr konkret geworden sein. Der Anklage zufolge wollten sie damit
«bürgerkriegsähnliche Zustände» auslösen und die Gesellschaftso
rdnung
ins Wanken bringen.

Die Verhandlung ist ein Mammutprozess. Im Gerichtssaal wimmelt es am
Dienstagmorgen von Ordnern der Justiz und von Rechtsanwälten in
schwarzen Roben. Einige Angeklagte halten sich Ordner vors Gesicht,
als sie in Handschellen in den Saal geführt wird, andere betreten
erhobenen Hauptes den Raum, nur die Corona-Maske als Verhüllung. Sie
sitzen abgetrennt hinter dickem Panzerglas. Es ist ein besonderes
Verfahren, weil es darum geht, wie Rechtsextremisten sich in
Deutschland vernetzen, wie sie denken, wie gefährlich sie sind -
einige Jahre nach dem NSU-Terror.

Im Zentrum steht Werner S., 55 Jahre, aus dem Raum Augsburg. Auf sein
Betreiben soll sich die Gruppe im September 2019 gegründet haben. «Er
war der Kopf», sagt auch Oberstaatsanwältin Judith Bellay. Werner S.
habe Mitglieder rekrutiert, Aufgaben zugewiesen, Waffen besorgt, sei
für die anderen derjenige gewesen, «an dem kein Weg vorbeiführt».
Bereits 2014 reift in ihm demzufolge der Gedanke, dass er gegen die
«drohende Überfremdung» in Deutschland etwas unternehmen muss. In
Chatgruppen sucht er gewaltbereite Gleichgesinnte. Er will eine
kleine Armee aufbauen, sieht seine Gruppe der Anklage zufolge als
ersten Dominostein, der eine Spirale der Gewalt in Gang setzt.

Er habe dafür gezielt Führungspersonal aus der rechten Szene anwerben
wollen, weil er sich von ihnen viel Mobilisierungspotenzial
versprochen habe. Er und seine Männer seien gut vernetzt gewesen in
der rechtsextremen Szene, sagt Oberstaatsanwältin Bellay. Sie
rekrutierten sich laut Anklage aus Bürgerwehren und rechten Gruppen
wie «Vikings Security Germania» oder «Freikorps Heimatschutz Division

2016 - Das Original». Sie hätten teils enge Kontakte zu
Waffenlieferanten besessen. Einer von ihnen war demzufolge
Angestellter in einem Verkehrskommissariat der Polizei.

Die Männer kommunizierten der Anklage zufolge über
Telegram-Chatgruppen, etwa mit dem Titel «Heimat». Dabei waren sie
vorsichtig, vereinbarten, dass keine Bilder von Waffen oder etwa von
Adolf Hitler gepostet werden dürfen. Trotzdem verraten die
Ermittlungsakten viel darüber, was in ihren Köpfen vorgeht. Die
Angeklagten teilen demnach eine ausländerfeindliche und
nationalsozialistische Grundhaltung, sie sprechen von «Menschenmüll»

und «Kakerlaken». Mitglieder schwören sich «Treue im Tod» oder
berichten ihren Lebensgefährten, sie würden im Kampf sterben. Wie die
Oberstaatsanwältin berichtet, benutzten sie verschiedene Codewörter
für Waffen - «E-Bike», «Akku», «Tretroller», «Hardware».


Im September 2019 trifft sich die Gruppe dann persönlich, auf einem
Grillplatz an der «Hummelgautsche» im baden-württembergischen Alfdorf

(Rems-Murr Kreis). «Die Gruppe war sich über die Provozierung eines
Bürgerkriegs und eines Systemwandels einig», sagt Bellay. Sie wollten
demzufolge Muslime töten, hatten aber auch Politiker und
Andersdenkende im Visier. «Bei Brot und Wein wird Krieg besprochen»,
mit diesen Worten soll Werner S. seine Gruppe auf ein weiteres
Treffen Anfang 2020 eingestimmt haben. Es sollte «ums Eingemachte
gehen».

Am 14. Februar wird die Bande hochgenommen. In bundesweiten Razzien
stoßen die Ermittler auf allerhand Waffen - Armbrüste, Revolver,
Schwerter, Schlagstöcke, Munition. Von den zwölf Angeklagten sitzen
seitdem elf in Untersuchungshaft. Einer befindet sich auf freiem Fuß
- er hat die Ermittler auch auf die Fährte der Gruppe gebracht, gilt
als Kronzeuge in dem Verfahren. Ein ursprünglich dreizehnter
Beschuldigter starb vergangenes Jahr in der U-Haft.

Ob sich einer der Angeklagten in dem Prozess selbst äußert, ist
unklar. Zum Auftakt am Dienstag werden vor allem Verfahrensfragen
geklärt, etwa wie lange die Mittagspausen sein sollen, ob die
Angeklagten rauchen dürfen in den Pausen, ob die Beteiligten Masken
tragen müssen. «Ich wüsste hier kein Verfahren, das so viele
Angeklagte hatte», sagte der Gerichtssprecher des Oberlandesgerichts.
Bis Mitte 2022 sind Termine für die Verhandlungen geblockt.

«Für uns alle ist das Neuland, was den Umfang angeht», sagte
Rechtsanwalt Daniel Sprafke, der einen der Angeklagten vertritt. Er
betonte zum Prozessauftakt, dass die Gruppe keineswegs homogen sei.
Nicht alle hätten am gleichen Strang gezogen - «wenn überhaupt». Kl
ar
ist: Bis zu einer Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.