Zähes Ringen um Bundes-Notbremse - Verhandlungen auf Zielgeraden

Trotz steigender Infektionszahlen tritt die Politik bei den
Gegenmaßnahmen schon länger auf der Stelle. Seit Tagen wird hinter
den Kulissen über verbindliche Vorgaben verhandelt. Jeder Zeitverzug
bringt nach Warnungen von Intensivmedizinern mehr Todesfälle.

Berlin (dpa) - Die Beratungen um bundesweit einheitliche
Einschränkungen im Kampf gegen Corona sind nach Gesprächen auch in
der Nacht auf der Zielgeraden. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur
am Dienstagmorgen aus Teilnehmerkreisen.

Das Kabinett will nun eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes
beschließen, die bundesweit einheitliche Auflagen für Gebiete mit
hohen Infektionszahlen festlegt. Geplant waren Ausgangs- und
Kontaktbeschränkungen, Auflagen für die Schließung von Geschäften,

Restaurants, Cafés und Freizeiteinrichtungen sowie Vorgaben für die
Schulen. Sie sollen greifen, wenn in einem Landkreis oder einer
kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Inzidenz
über 100 liegt. Das heißt, dass binnen einer Woche mehr als 100
Neuinfizierte auf 100 000 Einwohner kommen. Zudem soll der Bund mehr
Durchgriffsrechte per Verordnung erhalten.

Die Intensivmediziner-Vereinigung Divi rief die Politik auf, die
Notbremse möglichst schnell noch diese Woche zu verabschieden. Die
Zahl der Corona-Intensivpatienten nehme schneller zu als ohnehin
erwartet. Bereits Ende April würden 6000 erreicht - so viele wie auf
dem Höhepunkt der zweiten Welle. Wenn das Gesetz erst Ende April
beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7000 steigen, sagte
der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx, der «Augsburger
Allgemeinen» (Dienstag).

Am Dienstag stieg die 7-Tages-Inzidenz bundesweit auf 140,9. Einen
höheren Wert hatte es zuletzt vor drei Monaten, am 15. Januar,
gegeben. Laut Robert Koch-Institut (RKI) gab es zudem binnen eines
Tages 10 810 Corona-Neuinfektionen und 294 neue Todesfälle.

Die neuen Regeln für eine bundesweit verbindliche Notbremse sollen
möglichst in einem beschleunigten Verfahren vom Bundestag beschlossen
werden und den Bundesrat passieren. Neben der Novelle des
Infektionsschutzgesetzes sollte dem Kabinett auch eine geänderte
Arbeitsschutzverordnung mit einer Pflicht für Testangebote in
Unternehmen vorgelegt werden. Der Entwurf der Verordnung sieht vor,
dass die Unternehmen verpflichtend und in der Regel einmal in der
Woche Tests zur Verfügung stellen. Arbeitsminister Hubertus Heil
(SPD) wollte am Vormittag dazu in Berlin Stellung nehmen.

Begleitet wurde das zähe Ringen um die Bundes-Notbremse von teils
kritischen Äußerungen aus den Ländern. Schleswig-Holsteins
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) unterstützt im Grundsatz
bundeseinheitliche Maßnahmen zwar. «Wenn nicht überall so hart
durchgegriffen wird, kann ich absolut verstehen, dass der Bund dann
auch sagt, dass wir ein solches Gesetz brauchen», hatte er RTL
gesagt. Allerdings sah er Nachbesserungsbedarf am Entwurf. «Dort sind
Regelungen drin, die wir nicht mittragen können.»

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) wandte sich
besonders gegen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. «Richtig ist mit

Sicherheit, die Kontakte so weit es geht, drinnen wie draußen zu
reduzieren und auf das Nötigste zu beschränken», sagte der
Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz in der RBB-«Abendschau».

Aber: «Abends alleine oder zu zweit spazieren zu gehen, ist keine
große Gefahr.»