Corona-Lockerungen in England: «Es schmeckt fantastisch» Von Benedikt von Imhoff, dpa

«Langsam, aber unwiderruflich» wollte Boris Johnson ein Glas Bier an
seine Lippen heben. Wegen des Todes von Prinz Philip verschiebt der
britische Premier den ersten Pub-Besuch zwar. Doch viele Menschen in
England nutzen die Corona-Lockerungen. Andere hoffen auf ein Date.

London (dpa) - Dutzende stehen für einen Haarschnitt an oder für
Klamotten, andere genießen ein erstes Pint Bier im Regen: Nach
Monaten im Corona-Lockdown haben in England wieder Geschäfte,
Friseure und Biergärten geöffnet. Es ist der erste große Schritt auf

der von Premierminister Boris Johnson angekündigten «Einbahnstraße in

die Freiheit». Herrschte noch vor wenigen Monaten Corona-Chaos, hat
sich Großbritannien mittlerweile zum Vorreiter im Kampf gegen die
Pandemie gewandelt.

Möglich sind die Öffnungen wegen der deutlich niedrigeren
Neuinfektionen, die vor allem dem raschen Fortschritt des
Impfprogramms zu verdanken sind. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt
bei knapp 30 Fällen pro 100 000 Einwohnern; mehr als 32 Millionen
Menschen - weit mehr als die Hälfte der Erwachsenen - haben eine
erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten. Johnson rief seine
Landsleute jedoch auf, vorsichtig zu bleiben und nicht über die
Stränge zu schlagen. Kontaktbeschränkungen bleiben in Kraft,
Auslandsurlaub sowie Treffen in geschlossenen Räumen verboten.

Die ersten Kosmetikstudios und Friseure öffneten bereits um
Mitternacht. «Es ist unglaublich», sagte Toni Hendry von einem Salon
in London dem Sender Sky News. «Wir haben 3000 Leute auf der
Warteliste. Es hat drei bis vier Wochen gedauert, die Termine zu
organisieren.» Amy Pallister ließ sich als eine der ersten Kundinnen
einen Haarschnitt verpassen - zum ersten Mal seit sieben Monaten. Nun
könne sie das Leben wieder genießen, sagte sie der Nachrichtenagentur
PA. «Hoffentlich hilft mir mein neuer Haarschnitt, ein Date zu haben.
Ich bin schon lange Single - ich denke, dies wird helfen.» Nun wolle
sie so bald wie möglich in den Pub, um ein Bier zu trinken.

Auch die ersten Gaststätten hatten früh auf und meldeten Hochbetrieb.
Freie Plätze waren rar - seitdem Johnsons Lockerungs-Fahrplan bekannt
ist, meldeten landesweit Pubs ausgebucht. «Es schmeckt fantastisch -
und wird nicht lange halten», sagte Pippa Ingram, als sie in Ramsgate
am Ärmelkanal den ersten Schluck von ihrem Pint nahm.

Im südostenglischen Städtchen Cranleigh ließen sich zwei Männer auc
h
vom strömenden Regen nicht abhalten, ihren Imbiss im Sitzen zu
verzehren, wie ein Bild zeigt, das auf Twitter breite Beachtung fand.
Die Nachfrage war überall groß. «Das Thermometer zeigt ein Grad, es
schneit, und 100 Gäste wollen im Freien essen», twitterte der Chef
des Londoner Nobel-Italieners «Il Portico», James Chiavarini. «Es
macht einen stolz, Brite zu sein.»

Doch manche übertrieben es wohl ein wenig: In Coventry prüfen die
Behörden, ob Abstandsregeln gebrochen wurden, als um Mitternacht gut
100 Menschen vor einem Biergarten warteten. Und in die Freude vieler
Pub-Liebhaber und der Wirte mischt sich auch der Ärger anderer
Kneipiers. Nur 40 Prozent der Gaststätten könnten öffnen, hat der
Branchenverband British Beer and Pub Association errechnet - die
übrigen bieten nicht ausreichend Platz im Außenbereich.

Dennoch: Die Wirtschaft zeigte sich erleichtert über den
Öffnungsschritt. Das legen auch Zahlen des Daten-Dienstleisters Altus
Group nahe: Mehr als 400 000 Geschäfte dürfen öffnen, außerdem 20 7
00
Friseure, 4162 Fitnessstudios, 65 Zoos und Safariparks sowie 75
Freizeitparks. Auch Urlaub im Inland ist wieder möglich, dafür stehen
63 500 Ferienwohnungen bereit. Seit Anfang Januar hatten wegen des
bereits dritten Lockdowns weitreichende Kontakt- und
Reisebeschränkungen gegolten. Mehr Arbeit kommt nun auch auf die
Polizei zu. In London würden die Kräfte aufgestockt, kündigte
Vize-Polizeichefin Jane Connors an.

Die Aufregung um Öffnungen hat auch Politiker erreicht. Premier
Johnson wollte sich bereits am Montag seinen charakteristischen
Wuschel-Haarschnitt trimmen lassen. Auf sein erstes Pint muss er aber
noch warten. Zwar hatte er angekündigt, gleich am Montag «langsam,
aber unwiderruflich» ein Pint an seine Lippen zu führen. Wegen der
Staatstrauer nach dem Tod von Queen-Gatte Prinz Philip hat er den
Pub-Besuch aber verschoben.

Auch in anderen Gebieten des Vereinigten Königreichs wurden manche
Regeln gelockert. Wales gestattet nun wieder nicht notwendige Reisen
in andere Landesteile und in Nordirland hoben die Behörden die «Stay
at Home»-Anordnung auf - Schüler gehen wieder in die Schulen. In
England ist der nächste Lockerungsschritt für den 17. Mai geplant.
Dann sollen Restaurants und Pubs auch ihre Innenräume wieder öffnen
dürfen. Auslandsurlaub könnte dann ebenfalls wieder erlaubt werden;
derzeit drohen hohe Geldstrafen. Ganz aufgehoben werden sollen die
Corona-Regeln dann am 21. Juni.

Doch Premier Johnson hat angekündigt, alle Lockerungen noch einmal zu
überprüfen. Mindestens 127 000 Menschen sind im Zusammenhang mit dem
Virus in Großbritannien bereits gestorben - die hohe Zahl lastet auf
der Regierung. Einen neuen Lockdown will Johnson unbedingt vermeiden.