FDP gegen pauschale Ausgangssperren bei hohen Corona-Zahlen

Widerstand in Schleswig-Holsteins Jamaika-Koalition gegen
einheitliche Corona-Regeln: Die FDP wehrt sich gegen pauschale
Ausgangssperren bei einer Inzidenz von mehr als 100.
Wirtschaftsminister Buchholz lehnt auch andere Pläne der
Bundesregierung ab.

Kiel (dpa) - Ein Teil der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein
lehnt die geplanten bundesweit einheitlichen Regelungen gegen die
dritte Corona-Welle ab. «Eine grundsätzliche Ausgangssperre bei einer

Inzidenz von über 100 halte ich für völlig unangemessen», sagte
Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) am Montag.
Pandemiebekämpfung dürfe nicht «mit dem Holzhammer» erfolgen.
Krisenmanagement müsse mehr als ein Jahr nach Beginn der
Corona-Pandemie anders erfolgen als nach Ausbruch des
Infektionsgeschehens.

Regierungschef Daniel Günther (CDU) hat sich bislang noch nicht zu
den Vorschlägen der Bundesregierung vom Samstag geäußert. Am Freita
g
hatte er allerdings betont, dass sich die Landesregierung einer
Debatte über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um die
Notbremse bundesweit einheitlich zu regeln, nicht verweigern werde.

Wirtschaftsminister Buchholz hält das Verfahrenstempo der
Bundesregierung für völlig unangemessen. Bereits am Dienstag will das
Bundeskabinett die gesetzlichen Vorgaben auf den Weg bringen.
Buchholz verwies auf ungeklärte Probleme. Geplante Änderungen für den

Einzelhandel oder eine Beschränkung der Personenzahl in Bussen und
Bahnen auf die Hälfte sei praktisch nicht umsetzbar. «Das ist eine
völlig unpraktische und unsinnige Regelung.»

«Es geht bei der Veränderung des Infektionsschutzes um grundsätzliche

Fragen. Da sollte sich der Gesetzgeber Zeit nehmen - mindestens mal
nachzudenken, ob das alles so richtig ist», sagte Buchholz.
Schnellschüsse seien alles andere als hilfreich. Dies habe die
Diskussion um die Osterruhe gezeigt. «Am Samstagvormittag einen
ersten Entwurf liefern, am Mittwoch im Bundestag entscheiden und ihn
am Freitag dann im Bundesrat durchwinken lassen. So passieren die
Schnellschüsse, für die man sich hinterher entschuldigen muss.»

FDP-Landtagsfraktionschef Christopher Vogt sagte, Schleswig-Holstein
brauche weder neue Vereinbarungen der Regierungschefs noch
Gesetzesänderungen. Den Bundesländern stünden alle benötigten
Instrumente längst zur Verfügung. Die Landesregierung habe «längst

selbst zielgenaue Hotspot-Strategien entwickelt, mit denen die
Inzidenzzahlen in unseren Hotspots bisher jeweils zügig erfolgreich
abgesenkt werden konnten».

Er wundere sich teilweise über das Vorgehen mit Hotspots in anderen
Ländern. «Überziehen beim Infektionsschutzgesetz» sei
kontraproduktiv. «Man sollte jetzt nicht versuchen, die politische
Uneinigkeit und die schwindende Führungskompetenz durch autoritäre
Symbole zu kaschieren.»

Die FDP will demnach keiner Regelung zustimmen, die bei
Überschreitung einer 100er Inzidenz pauschale Ausgangssperren
vorsieht. Diese sei nicht nur verfassungsrechtlich höchst
zweifelhaft, sagte Vogt. «Der konkrete Nutzen ist ebenfalls höchst
umstritten, denn das nächtliche Partyleben hält sich gerade in den
ländlichen Regionen doch in sehr engen Grenzen.» Wenn einer der drei
Koalitionspartner eine Gesetzesänderung ablehnt, müsste sich die
Landesregierung laut Koalitionsvertrag im Bundesrat der Stimme
enthalten.

Weil die Länder vereinbarte Maßnahmen gegen die dritte
Infektionswelle uneinheitlich umsetzten und die Infektionslage
zugleich mehr und mehr außer Kontrolle gerät, soll die «Notbremse»

gesetzlich verankert werden. In Landkreisen mit mehr als 100
wöchentlichen Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern müssten
Lockerungen dann verpflichtend zurückgenommen werden. Das beträfe
aktuell mehr als die Hälfte der Landkreise in Deutschland.