Ex-Richterbund-Chef «fassungslos» über neue Corona-Pläne des Bundes

Berlin (dpa) - Der frühere Vorsitzende des Deutschen Richterbunds,
Jens Gnisa, empört sich über Pläne der Bundesregierung, im Kampf
gegen die Coronavirus-Pandemie das Infektionsschutzgesetz zu
verschärfen. «Man sieht mich selten fassungslos. Aber nun ist es so
weit. Der Bund schießt deutlich über alle Verhältnismäßigkeitsgre
nzen
hinaus», schrieb der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld am Samstag
auf Facebook. Es gehe bei den Vorschlägen nun nicht mehr um einen
Brücken-Lockdown von zwei oder drei Wochen, sondern um einen «nicht
mehr einzufangenden Dauerlockdown», rügte er.

Gnisa nannte es eine «Nichtachtung der Justiz», wenn ab 100
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen nächtliche
Ausgangssperren verhängt werden müssten - obwohl von Gerichten deren
Wirksamkeit angezweifelt worden sei. Auch seien die strengen
Kontaktbeschränkungen aus seiner Sicht rechtlich zweifelhaft. «Eltern
ab einer Inzidenz von 100 zu verbieten, ihre Kinder zu treffen,
entspricht für mich auch nicht dem Bild des Grundgesetzes.»

In der Formulierungshilfe, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt
und die am Samstag an Fraktionen und Länder geschickt wurde, schlägt
der Bund mehrere Maßnahmen für Landkreise vor, in denen binnen einer
Woche eine Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner oder
mehr registriert wird - das sind aktuell mehr als die Hälfte aller
Landkreise in Deutschland. Gestattet wären etwa nur noch private
Treffen eines Haushaltes mit einer weiteren Person und von insgesamt
maximal fünf Personen; Kinder zählen nicht mit. Vorgeschlagen sind
Ausgangsbeschränkungen von 21.00 Uhr abends bis 5.00 Uhr morgens.

Gnisa schrieb dazu, staatliche Corona-Beschränkungen dürften nicht
nur auf den registrierten Ansteckungen fußen. «Nur auf die Inzidenz
abzustellen, ist bei derartig drastischen Maßnahmen willkürlich, weil
die reine Inzidenz davon abhängt, wie viel getestet wird.»