Minister lädt zum Impfgipfel - SPD kritisiert Probleme für Senioren

Mehr als anderthalb Millionen Menschen in Baden-Württemberg sind
gegen Corona geimpft. Nun sollen die Weichen gestellt werden für den
Moment, wenn Impfstoffmangel kein Problem mehr ist. Dafür trommelt
der Gesundheitsminister Experten und Verantwortliche zusammen.

Stuttgart (dpa/lsw) - Um die Corona-Impfkampagne im Südwesten
voranzutreiben, lädt Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) am
Freitag zum Impfgipfel. Mit Landräten, Oberbürgermeistern sowie
Vertretern etwa von Landesärztekammer, Landesapothekerverband und
Baden-Württembergischer Krankenhausgesellschaft will er nach Angaben
vom Wochenende online besprechen, wie es weitergehen soll, wenn
deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Aus der Opposition kam
Kritik, Lucha wolle von Versäumnissen ablenken. Die Hausärzte
wiederum fürchten, dass Impfchaos in ihre Praxen verlagert wird.

Im Südwesten haben inzwischen nach Angaben des Landesgesundheitsamts
mehr als 1,5 Millionen Menschen eine erste Corona-Impfung bekommen.
Über 600 000 davon sind schon ein zweites Mal geimpft. Dennoch
rangiert Baden-Württemberg im Ländervergleich beim Anteil der
Geimpften an der Gesamtbevölkerung im unteren Drittel, wie aus Daten
des Robert Koch-Instituts hervorgeht. Demnach liegt Baden-Württemberg
knapp unter dem Bundesschnitt von gut 15 Prozent. Länder wie Bremen
und das Saarland sind aber schon ein paar Prozentpunkte weiter.

Bislang ist vor allem Impfstoffmangel ein Problem. Hinzu kamen
geänderte Empfehlungen für das Vakzin von Astrazeneca, das im Moment
in Deutschland nur Menschen über 60 Jahre nutzen sollten. «Ab Mai und
Juni sollen die Impfstofflieferungen nach derzeitigen Angaben der
Hersteller auch nach Baden-Württemberg deutlich zunehmen, das Impfen
im Land erhält also absehbar deutlich mehr Schub», hieß es in einer
Mitteilung des Ministeriums von Samstag. «Damit bricht eine neue
Phase für die Impfungen im Land an», sagte Lucha.

Der Gesundheitsexperte der SPD-Landtagsfraktion, Rainer Hinderer,
kritisierte: «Kommt das Impfen nicht auf Trab, dann lenk mit einem
Gipfel ab.» Zu viele Menschen aus den höchsten Prioritätsstufen
warteten noch auf ihren Impftermin. «Dass es hier immer noch nicht
schnell genug voran geht, übersieht der Minister fast schon
leidenschaftlich gerne und wendet sich lieber den Aufgaben zu, die
auch ohne ihn gelöst werden», sagte Hinderer.

Bei dem Gipfel fehlten jene Gesprächspartnern, «die Lucha zu den
bisherigen Impfungen den Marsch blasen würden», erklärte Hinderer und

nannte den Landesseniorenrat, die Landesbehindertenbeauftragte und
den Sozialverband VDK als Beispiele. «Sie würden auf dem Gipfel für
die Betroffenen sprechen, die seit Monaten schlechter gestellt sind,
während der Minister immer weitere Gruppen zur Impfung zulässt, weil
das schöne Überschriften macht», so der SPD-Abgeordnete. «Ein Gipfe
l,
auf dem das nicht klar zur Sprache kommt, ist vertane Zeit.»

«Das Impfen ist weiterhin der wichtigste Schritt, um langfristig
wieder zu einem möglichst normalen Alltag zurückzukehren», sagte
Lucha. Erstmals wurden laut Ministerium in der vergangenen Woche rund
41 000 Impfungen in den baden-württembergischen Impfzentren an nur
einem Tag verabreicht - ein Rekord. Am Samstag seien mehr als 42 000
Menschen geimpft worden, teilte ein Ministeriumssprecher am Sonntag
mit. «Wir impfen seit Mittwoch rechnerisch alle 2 Sekunden einen
Menschen.» Auch das Angebot von Impfungen bei Hausärzten sei von
Anfang an sehr gut angenommen worden, erklärte das Ministerium.

Der Hausärzteverband Baden-Württemberg kritisierte am Sonntag, dass
die Praxen ab dem 19. April den Impfstoff von Astrazeneca zusätzlich
bekommen sollten, aber dafür weniger von Biontech/Pfizer. Der 2.
Vorsitzende Frank-Dieter Braun bezeichnete das als «völlig
inakzeptabel». «Wir müssen dann den verunsicherten Menschen
vorwiegend Astrazeneca-Impfstoff impfen. Damit wird das politische
Impfchaos in die Hausarztpraxen verlagert, was für uns unzumutbar
ist.» Der 1. Vorsitzende Berthold Dietsche ergänzte: «Wenn
Lieferschwankungen auf dem Rücken der Hausarztpraxen ausgetragen
werden, wird dies das Vertrauen in die Politik weiter zerstören.»
Hausärzte dürften nicht erst nach den Impfzentren beliefert werden.