Bund schlägt Ausgangsbeschränkung vor - Schule nur mit Tests

Bund und Länder wollen einheitliche Corona-Regeln - doch was soll da
drin stehen? Der Bund hat seinen Vorschlag verschickt. Jetzt sind
Länder und Fraktionen am Zug. Die Zeit drängt.

Berlin (dpa) - Nächtliche Ausgangsbeschränkungen bei einer
Corona-Inzidenz über 100, aber Schulschließungen erst ab einer
Inzidenz von 200: Die Bundesregierung hat einen Vorschlag für
bundeseinheitliche Maßnahmen gegen die dritte Corona-Welle vorgelegt.
Der Entwurf für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes soll nun
mit den Fraktionen im Bundestag und mit den Ländern abgestimmt
werden. Das Gesundheitsministerium bat die Fraktionen nach
dpa-Informationen um Anregungen bis Sonntag, 12 Uhr.

In der Formulierungshilfe, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt
und die am Samstag an Fraktionen und Länder geschickt wurde, schlägt
der Bund mehrere Maßnahmen für Landkreise vor, in denen binnen einer
Woche eine Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner oder
mehr registriert wird - das sind aktuell mehr als die Hälfte aller
Landkreise in Deutschland. Gestattet wären etwa nur noch private
Treffen eines Haushaltes mit einer weiteren Person und von insgesamt
maximal fünf Personen; Kinder zählen nicht mit.

Vorgeschlagen sind zudem Ausgangsbeschränkungen von 21 Uhr abends bis
5 Uhr morgens. Dabei soll es nur wenige Ausnahmen geben, etwa für
medizinische Notfälle, den Weg zur Arbeit oder die Versorgung von
Tieren, nicht aber für abendliche Spaziergänge alleine.

Für Schülerinnen und Schüler schlägt der Bund eine Testpflicht vor:

Wer am Präsenzunterricht teilnimmt, sei zweimal in der Woche zu
testen. Erst ab einer Inzidenz von 200 an drei aufeinanderfolgenden
Tagen in einem Landkreis sollen die Schulen schließen. Es darf jedoch
auch dann Notbetreuung in Schulen und Kitas geben und
Abschlussklassen können von der Schließung ausgenommen werden.

Bund und Länder hatten angesichts steigender Neuinfektionszahlen und
einer zunehmenden Belastung auf den Intensivstationen ein neues
Verfahren vereinbart. Statt der gewohnten Konferenz von Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten sollen Maßnahmen für

Regionen mit hohen Infektionszahlen gesetzlich festgehalten werden.
Bevor Details bekannt waren, stieß der Vorstoß auf breite Zustimmung.
Es zeichnete sich aber zugleich ab, dass man um die einzelnen
Maßnahmen noch ringen würde.

FDP-Chef Christian Lindner reagierte kritisch auf den Entwurf des
Bundes: «Die vorgesehene scharfe Ausgangssperre schließlich ist
unverhältnismäßig. Beispielsweise geht vom abendlichen Spaziergang
eines geimpften Paares keinerlei Infektionsgefahr aus», betonte er.
«Diese Bestimmung ist verfassungsrechtlich höchst angreifbar.» Auch
die alleinige Orientierung an dem Inzidenzwert von 100 Infektionen
pro 100 000 Einwohnern binnen einer Woche sei falsch. Dieser bilde
das Pandemiegeschehen vor Ort nur unzureichend ab.

Nach den Vorschlägen des Bundes soll auch die Öffnung von Läden bei
Überschreiten der Grenzwerte wieder untersagt werden - mit Ausnahme
von Supermärkten, Getränkemärkten, Drogerien, Apotheken, aber auch
Buchhandel, Blumenläden und Gartenmärkten. Auch
Freizeiteinrichtungen, Theater, Kinos, Museen und Zoos blieben
demnach geschlossen. Verboten wäre zudem wieder Sport in der Gruppe -
mit Ausnahme des Profi- und Leistungssports. Gastronomie und
Tourismus blieben zu.

Der Bund strebt an, dass das Gesetz so schnell wie möglich durch
Bundestag und Bundesrat gebracht wird, sobald die Maßnahmen mit den
Ländern und Fraktionen abgestimmt sind. Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller (SPD) rechnet allerdings damit, dass der
Prozess bis zu zwei Wochen dauern könnte. «Ich gehe schon davon aus,
dass innerhalb der nächsten 10, 14 Tage wir das gemeinsam - Bundestag
und Bundesrat - auch bewältigen werden und dass wir damit dann auch
einen Rahmen haben, mit dem wir alle gemeinsam gut arbeiten können»,
sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz im ZDF-«Heute
Journal». Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich
zuvor noch zuversichtlich geäußert, die Änderungen auch innerhalb
einer Woche umsetzen zu können.

Bereits Anfang März hatten Bund und Länder Regeln für den Fall
vereinbart, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region über 100
steigt. Alle bis dahin getroffenen Lockerungen sollten wieder
vollständig zurückgenommen werden. Allerdings zeigte sich danach
vielfach, dass die sogenannte Notbremse nicht ausreichend angewendet
wurde - wie etwa Merkel kritisiert hatte.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) plädierte nun f
ür
ein zügiges Verfahren. «Brandenburg hat sich stets für
bundeseinheitliche Regeln zur Eindämmung der Pandemie stark gemacht»,
sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Potsdam. «Wenn die Änderung
des Bundesinfektionsschutzgesetzes dazu beiträgt, ist das gut. Wir
können uns aber keine langwierigen Gesetzesänderungsverfahren
leisten, sondern brauchen schnelle Entscheidungen. Die dritte Welle
der Pandemie macht keine Pause.»

Zuletzt hatten die Gesundheitsämter dem RKI binnen eines Tages 24 097
Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden
246 neue Todesfälle verzeichnet. Wegen der Oster-Feiertage und der
Schulferien könnten die Zahlen noch immer verfälscht sein, warnte das
RKI. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro
100 000 Einwohner lag am Samstagmorgen bundesweit bei 120,6. Ärzte
auf den Intensivstationen beklagen, das Limit sei bald erreicht.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus forderte Bund und Länder
angesichts der drängenden Lage zum Schulterschluss auf. Zuletzt
hätten die Länder ihren Spielraum oft uneinheitlich ausgeübt,
kritisierte er. Jetzt sei ein gemeinsames Vorgehen wichtig: «Es darf
keine Front zwischen Bund und Ländern geben. Wir sind darauf
angewiesen, dass wir diese Pandemie gemeinsam bekämpfen», sagte er
den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Denn die Umsetzung der
Maßnahmen liege in der Zuständigkeit der Länder.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich betonte, es gehe nicht um eine
Kompetenzverschiebung von den Ländern zum Bund, sondern um
Transparenz und Verbindlichkeit. «Änderungen am
Infektionsschutzgesetz können für mehr Klarheit sorgen und dem
Eindruck eines Flickenteppichs entgegenwirken», sagte er dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die SPD-Fraktion werde sich den
Entwurf der Bundesregierung genau anschauen. Ein schnelles, aber
geordnetes Verfahren sei gesichert.