Die neue Notbremse: Was im geplanten Corona-Gesetz stehen könnte Von Theresa Münch und Sebastian Fischer, dpa

Keine Bund-Länder-Runden bis tief in die Nacht, stattdessen ein
Gesetz: Die Corona-Regeln sollen überall in Deutschland einheitlich
werden - und niemand soll sich mehr rausreden können. Jetzt wird um
die Maßnahmen gerungen.

Berlin (dpa) - Lange hat der Bund zugeschaut, wie unterschiedlich die
Länder gemeinsam getroffene Corona-Beschlüsse interpretierten: Hier
Schulen auf, dort zu, hier Ausgangsbeschränkungen, dort nur ein
nächtliches Freunde-Treff-Verbot. Die dritte Infektionswelle rollt,
alle sprechen von einer «Notbremse» - doch treten unterschiedlich
fest aufs Pedal. «Wenn manche schon die Einschätzung der Lage nicht
teilen, dann wird es natürlich schwierig», sagte Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) noch am Freitag. Wenige Stunden später ist klar: Der
Bund greift ein, die Anti-Corona-Maßnahmen werden vereinheitlicht.

Es geht um die zentrale Frage: Was passiert, wenn in Landkreisen die
Sieben-Tage-Inzidenz auf mehr als 100 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner steigt? Das soll jetzt in Windeseile - möglichst schon
kommende Woche - gesetzlich geregelt werden. Länder und Landkreise
könnten dann keine Ausflüchte mehr finden, warum die Notbremse
ausgerechnet in ihrem Fall unnötig sein sollte. Nach derzeitigem
Stand wäre etwas mehr als die Hälfte aller Kreise von den Maßnahmen
betroffen.

Doch was soll drin stehen im neuen Infektionsschutzgesetz? Einen
ersten Vorschlag, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, schickte
der Bund am Samstag an die Fraktionen und Länder. Stellungnahme noch
am Sonntag erbeten. Über Folgendes wird jetzt debattiert:

PRIVATE KONTAKTE: Dass Treffen in der Öffentlichkeit und auch zuhause
eingeschränkt bleiben, scheint klar. Wissenschaftlichen Studien
zufolge gehören strenge Kontaktbeschränkungen zu den wirksamsten
aller Corona-Maßnahmen und reduzieren die Verbreitung des Virus
geschätzt um bis zu ein Viertel. Künftig könnte überall wieder eine

schon bekannte Regel gelten: Ein Haushalt darf sich maximal mit einer
weiteren Person treffen, Kinder rausgerechnet dürfen es maximal fünf
Personen sein.

AUSGANGSBESCHRÄNKUNGEN: In einigen Landkreisen gibt es bereits
Einschränkungen, wenn man nachts das Haus verlassen will - doch sie
sind sehr unterschiedlich. Im Gespräch ist nun eine einheitliche
Ausgangsbeschränkung von 21 bis 5 Uhr. Ausnahmen könnte es etwa für
medizinische Notfälle und den Weg zur Arbeit geben, wohl aber eher
nicht für Spaziergänge oder Joggen in der Dunkelheit. Forscher der
Universität Oxford gehen davon aus, dass nächtliche
Ausgangsbeschränkungen die Verbreitung des Virus um rund 13 Prozent
reduzieren können. Berliner Wissenschaftler warnen allerdings, dass
sich die Menschen schon bald einfach zu anderen Zeiten treffen
werden. Daher könne dieses Werkzeug «relativ schnell stumpf werden».


SCHULEN UND BÜROS: Im Gespräch ist, dass Schulen nur dann regulär

öffnen dürfen, wenn alle Schülerinnen und Schüler mindestens zweima
l
pro Woche getestet werden. Ab einer 200er-Inzidenz sollen die Schulen
zumachen - Ausnahmen könnten die Länder für Notbetreuung und
Abschlussklassen machen.

Auch für die Büros wäre eine Testpflicht denkbar, sie ist jedoch in
der Bundesregierung stark umstritten: Vizekanzler Olaf Scholz (SPD)
ist dafür, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bremst. Im ersten
Entwurf ist keine Testpflicht für Unternehmen vorgesehen.

Auf die Schnell- und Selbsttests kann man sich nach
wissenschaftlichen Erkenntnissen ohnehin nicht hundertprozentig
verlassen. «Selbsttests sind keine Wunderwaffe», sagte der Präsident

des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, bereits im Februar.
Ein negatives Ergebnis ist nämlich eine reine Momentaufnahme und
schließt eine Infektion nicht grundsätzlich aus. Selbst bei korrekter
Anwendung der Tests sei es «lediglich weniger wahrscheinlich» zu
diesem Zeitpunkt für andere ansteckend zu sein, so das RKI.

Vor allem bei Infizierten, die keine Symptome wie etwa Fieber oder
Husten zeigen, besteht durchaus die Gefahr, dass sie falsche
Ergebnisse erhalten. Ein Team des internationalen Cochrane-Netzwerks
fand heraus, dass bei zwei untersuchten Schnelltest-Produkten im
Schnitt 72 Prozent der Patienten mit Symptomen korrekt erkannt
wurden, jedoch nur 58 Prozent der ohne Symptome. Was jedoch niemand
genau weiß: Ob diejenigen mit falsch-negativem Ergebnis überhaupt für

andere ansteckend gewesen wären oder nicht.

LÄDEN: Es ist abzusehen, dass Modellprojekte mit Ladenöffnungen für
Getestete in Landkreisen mit hohen Infektionszahlen gestoppt werden
müssen. Nach ersten Überlegungen sollen ab der 100er-Inzidenz wieder
nur noch Supermärkte, Getränkemärkte, Apotheken, Drogerien und
Tankstellen öffnen dürfen - aber auch Buchhändler, Blumenläden und

Gartenmärkte.

FREIZEIT UND SPORT: Auch hier müssen sich wohl einige Landkreise von
Öffnungsplänen etwa für Theater verabschieden. Der Entwurf des Bundes

sieht vor, dass nicht nur Konzerthäuser, Bühnen und Kinos geschlossen
bleiben, sondern auch Museen, Schwimmbäder, Zoos und botanische
Gärten. Seilbahnen und Ausflugsschiffe könnten stillstehen und auch
Stadt- und Naturführungen untersagt sein. Sport könnte nach den
ersten Überlegungen bundesweit nur noch alleine, zu zweit oder mit
dem eigenen Haushalt erlaubt sein, auch wieder für Kinder und
Jugendliche. Ausnahme: Wettkampf und Training von Leistungssportlern.

TOURISMUS UND GASTRONOMIE: Hier gab es bis zuletzt die wenigsten
Öffnungen - und es sind wohl auch keine in Sicht. Restaurants,
Kneipen, Hotels und Ferienwohnungen müssen wahrscheinlich zubleiben.

LOCKDOWN-LÄNGE: Die im Gesetz geregelten Maßnahmen sollen so lange
gelten, bis ein Landkreis an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter
die 100er-Inzidenz rutscht. Zwischen wenigen Tagen und mehreren
Monaten ist also alles drin. Experten wie der wissenschaftliche
Leiter des Intensivbetten-Registers Divi, Christian Karagiannidis,
hatten zuletzt für einen harten Lockdown von zwei Wochen plädiert.
Die Virologin Melanie Brinkmann vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum
für Infektionsforschung sagte: «Je stärker alle auf die Bremse
treten, desto kürzer währt der Lockdown.» Innerhalb von vier Wochen
bekomme man die Fallzahlen massiv runter, wenn die Menschen kaum
Kontakte hätten. Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek hält das für

zu kurz. Im NDR-Podcast verwies sie jüngst auf RKI-Simulationen und
sagte, «dass vier Wochen nicht reichen, um dieses Infektionsgeschehen
groß zu verändern». Vorsichtige Lockerungen seien erst im Mai und
Juni möglich mit einer langsamen Steigerung bis in den Spätsommer.