Grünen-Chef Habeck warnt Partei vor «moralischer Arroganz»

Die Grünen sind im Umfragehoch und rüsten sich für die
Bundestagswahl. Robert Habeck oder Annalena Baerbock - wer wird ihr
Kanzlerkandidat? Robert Habeck formuliert Umrisse einer politischen
Agenda.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Grünen-Chef Robert Habeck hat seine Partei vor
«moralischer Arroganz» und Rechthaberei gegenüber Andersdenkenden
gewarnt. Voraussetzung für einen Erfolg der Grünen bei der
Bundestagswahl am 26. September sei eine «selbstkritische Haltung
gegenüber Macht und Machtausübung», sagte Habeck am Freitag zum
Auftakt des Landesparteitags der nordrhein-westfälischen Grünen in
einem Video-Grußwort. Die Grünen müssten für eine neue politische
Kultur kämpfen. Die Erosion des politischen Vertrauens könne nur
gekontert werden, wenn man sich darum bemühe, auch die jeweils andere
Seite zu verstehen. Die Grünen müssten nicht nur «im erweiterten
Grünen-Milieu» für Mehrheiten sorgen, sondern die Gesellschaft
insgesamt ansprechen.

Der Grünen-Bundesvorstand will am 19. April vorschlagen, wer von den
Parteichefs Annalena Baerbock und Habeck die Kanzlerkandidatur bei
der Bundestagswahl am 26. September übernehmen soll. Die endgültige
Entscheidung fällt auf dem Grünen-Parteitag vom 11. bis 13. Juni.

Habeck warnte die Partei auch vor Eingriffen in die persönlichen
Freiheitsrechte. So sei etwa der Kampf gegen die Corona-Pandemie
«keine Blaupause» für den Kampf gegen den Klimawandel. «Es darf nic
ht
zu solchen Eingriffen in die Freiheitsrechte kommen, nur weil die
Politik ihre Hausaufgaben nicht macht», sagte der 51-jährige
Grünen-Politiker.

Die nächste Bundesregierung müsse die «ökologische Agenda «ganz n
ach
vorne» als Querschnittsthema durch alle Ressorts schieben, sagte
Habeck. «Kein Gesetz sollte mehr beschlossen werden, das den
Klimawandel noch verschärft oder anheizt.» Zugleich müsse es eine
finanzielle Wende geben hin zu mehr Investitionen, um einen
«klimaneutralen neuen Wohlstand» zu schaffen. Dafür sei auch eine
Reform der Schuldenbremse erforderlich.

In der Corona-Pandemie seien «radikale politische Fehler» gemacht
worden», so Habeck. Schon im Herbst habe man gewusst, dass die
nächste Corona-Welle komme. Das Zögern und Zaudern habe Deutschland
und Europa in eine schwere Krise gerissen. Der derzeitige
Vertrauensverlust in die CDU/CSU und die Bundespolitik insgesamt sei
gefährlich für die Gesellschaft. Jede Häme und Schadenfreude aber
verbiete sich an dieser Stelle, «weil Vertrauen in die politische
Handlungsfähigkeit die Essenz ist, dass Demokratie funktioniert».

Vor allem die Grünen müssten das Vertrauen in die Politik nun wieder
herstellen, sagte Habeck. Das «Stolpern durch die Corona-Pandemie»
sei das eine, das andere sei der Machtmissbrauch und Korruption beim
Masken-Skandal in der Union. Das Bewusstsein, dass man als Politiker
dem Gemeinwohl und nicht dem eigenen Wohl zu dienen habe, sei
«offensichtlich verloren gegangen». Die Regeln für Transparenz und
Lobbyismus müssten verschärft werden.

Die NRW-Grünen stellen von Freitag bis Sonntag ihre Landesliste für
die Bundestagswahl auf. Auf Platz 1 der Grünen-Landesliste wurde am
Freitag erneut die parlamentarische Geschäftsführerin der
Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, gewählt. Auf Platz 2 kam der
derzeitige Bundestagsfraktionsvize Oliver Krischer, auf Platz 3 die
Abgeordnete Irene Mihalic. Platz vier ging an Sven Lehmann, Platz
fünf an Katharina Dröge. Auf Platz 6 wurde der Co-Landesvorsitzende
Felix Banaszak gewählt. Der 31-Jährige will zugleich über die
NRW-Landtagswahl hinaus bis mindestens August 2022 Landeschef
bleiben.

2017 waren zwölf Grünen-Abgeordnete aus NRW in den Bundestag
eingezogen. Bei der teils live, teils digital verlaufenden
Veranstaltung wählen rund 280 Delegierte Kandidaten für rund 80
Landeslistenplätze. Angesichts der Umfragen, die die Grünen im Bund
derzeit über 20 Prozent sehen, könnten theoretisch mehr als 50
Abgeordnete aus NRW den Sprung über die Liste in den Bundestag
schaffen, so die Berechnungen der Landespartei.