Mit der Bundes-Notbremse gegen die dritte Corona-Welle Von Ulrich Steinkohl, dpa

Mehr Einheitlichkeit, mehr Verbindlichkeit - das soll die dritte
Welle der Corona-Pandemie brechen. Die nächste Bund-Länder-Runde am
Montag wird abgesagt. Dafür soll nun im Eiltempo das
Infektionsschutzgesetz nachgeschärft werden.

Berlin (dpa) - Sollte Frank-Walter Steinmeier Gehör gefunden haben?
«Raufen wir uns alle zusammen, liebe Landsleute», hatte der
Bundespräsident in seiner Corona-Fernsehansprache am Karsamstag
gesagt. «Zeigen wir doch nicht ständig, was nicht geht, sondern dass
es geht, wenn alle ihren Teil tun.» Der Appell an die «lieben
Landsleute» war so formuliert, dass sich neben den Bürgern die
Politik durchaus angesprochen fühlen durfte.

Und tatsächlich, nach tagelangen Debatten über Brücken-Lockdown,
Ausgangsbeschränkungen, Modellprojekte für Öffnungen oder ein
Durchgreifen des Bundes gerät am Freitag plötzlich Bewegung in die
Corona-Fronten: Das oft verlangte, aber bislang nicht erreichte
einheitliche Vorgehen soll kommen. Und zwar in der zentralen Frage:
Was passiert, wenn in Landkreisen die Sieben-Tage-Inzidenz auf mehr
als 100 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner steigt?

«Ziel ist es hier, bundeseinheitlich Regeln zu schaffen», sagt die
stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in der
Bundespressekonferenz. Das Infektionsschutzgesetz soll mit
verbindlichen Vorgaben nachgeschärft werden. Bedeutet: Länder und
Landkreise könnten künftig keine Ausflüchte mehr finden, warum die
Notbremse ausgerechnet in ihrem Fall nicht greift, wenn die
Inzidenzmarke von 100 gerissen wird.

Dazu gab es zwar schon in der Bund-Länder-Runde vom 3. März eine
Festlegung. Doch während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darin
einen Automatismus sah, wurde er von manchem Länderregierungschef und
manchem Landrat eher als Kann-Bestimmung ausgelegt. Damit wäre
künftig Schluss.

Im Beschluss vom 3. März wurde für Regionen, die Corona-Maßnahmen
gelockert haben und dann steigende Infektionszahlen verzeichnen,
festgelegt: «Steigt die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohnerinnen
und Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in dem Land oder
der Region auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden
Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in
Kraft (Notbremse).» Also: Einzelhandel, Museen und Zoos wieder zu,
persönliche Kontakte wieder auf einen Hausstand und eine Person
reduziert, Sportmöglichkeiten wieder stark beschränkt.

Im Pandemie-Instrumentenkasten, den Ministerpräsidenten und Kanzlerin
schon beschlossen haben, finden sich aber noch weitere Werkzeuge. Der
Beschluss aus der unrühmlichen Nachtsitzung vor Ostern nennt
ausdrücklich auch Ausgangsbeschränkungen und verschärfte
Kontaktbeschränkungen. Zudem hat der Wissenschaftliche Dienst des
Bundestags gerade in einem Gutachten festgestellt, dass der Bund den
Ländern auch das Schließen von Schulen vorschreiben kann. Das würde
nicht in ihre Kultushoheit eingreifen, wenn es zum Zweck des
Infektionsschutzes erfolgt.

Noch steht nicht fest, welche dieser Werkzeuge tatsächlich ins
Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden. Darüber dürfte es zwischen
Bund und Ländern über das Wochenende und am Montag noch ein zähes
Ringen geben. Fest steht aber, dass es schnell gehen soll. Die vor
Ostern für diesen Montag vereinbarte Ministerpräsidentenkonferenz mit
der Kanzlerin wurde am Freitag abgesagt, dafür die nächste Sitzung
des Bundeskabinetts von Mittwoch auf Dienstag vorgezogen. Dort soll
die Änderung des Infektionsschutzgesetzes bereits beschlossen werden.

Dann kommt es auf den Bundestag an. «Es kann schnell gehen, wenn die
Beteiligten alle wollen», sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble

am Donnerstagabend im ZDF-«Heute Journal». Zur Not könne dies sogar
in einer einzigen Sitzungswoche passieren. Allerdings: Einer
deutlichen Beschleunigung der Beratungen müsste in Teilen auch die
Opposition zustimmen.

Etwa die FDP, von der zurückhaltende bis ablehnende Reaktionen
kommen. «Ich warne dringend davor, ein solches Gesetzesvorhaben, das
im Zweifel massive Grundrechtseingriffe zur Folge hat, im
Schnellverfahren übers Knie zu brechen», sagt der stellvertretende
Parteichef und Vizepräsident des Bundestags, Wolfgang Kubicki.
Partei- und Fraktionschef Christian Lindner gibt sich etwas
konzilianter, nennt aber Bedingungen: Die FDP verschließe sich einer
Änderung des Infektionsschutzgesetzes in einem schnellen Verfahren
nicht, «aber die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben».

Auch der Bundesrat müsste sich mit der Gesetzesänderung im Anschluss
noch befassen, wobei noch nicht ganz klar ist, ob seine Zustimmung
erforderlich wäre oder ob er nur Einspruch einlegen könnte. Soll
alles schnell über die Bühne gehen, wäre in jedem Fall eine
Sondersitzung nötig, weil sich die Länderkammer regulär erst wieder
am 7. Mai trifft.

Abgesehen davon, dass endlich klare Regeln bestünden, hätte die
Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes einen weiteren Vorteil:
Kanzlerin und Länderchefs müssten künftig nicht mehr alle zwei Wochen

tagen - was mancher der Beteiligten nach der jüngsten Nachtrunde mit
der Osterruhen-Pleite begrüßen dürfte. Allerdings nicht jeder.
Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) wettert am Freitag
wegen der Absage der MPK am Montag: «Damit zerstört man das Ansehen
der Ministerpräsidentenkonferenz in der Öffentlichkeit. So kann man
mit diesem Entscheidungsgremium nicht umgehen.»