Trotz Impfrekord: Experten warnen vor Überlastung der Kliniken

In Deutschland wird so viel geimpft wie noch nie. Experten schlagen
dennoch Alarm, denn die Lage in den Kliniken ist besorgniserregend.
Auch Gesundheitsminister Spahn will mehr Einschränkungen.

Berlin (dpa) - Trotz neuer Impfrekorde ist die Lage in der
Corona-Krise aus Sicht von Experten alarmierend. Intensivmediziner
warnen vor einer Überlastung des Gesundheitssystems, und auch
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigt sich besorgt. Daher
müsse die dritte Welle gebrochen werden, sagte Spahn am Freitag in
Berlin. Die sozialen Kontakte müssten eingeschränkt werden, notfalls
auch mit nächtlichen Ausgangssperren.

Die Lage in den Kliniken sei zutiefst besorgniserregend, warnte der
Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-

und Notfallmedizin, Gernot Marx. «Es brennt. Die Lage ist sehr
dramatisch. Jeder Tag zählt.» Es gebe einen ungebremsten und
dramatischen Anstieg von Covid-Patienten. Beim Impfen sei die
Bundesrepublik auf der Zielgeraden. Deutschland dürfe aber nicht auf
den letzten Metern Menschen gefährden - kurz bevor sie durch eine
Impfung geschützt werden könnten, sagte er. «Wir brauchen aber mehr
Zeit fürs Impfen.»

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, warnte davor,
sich nicht von den niedrigeren Meldezahlen rund um Ostern beirren zu
lassen. «Wir haben genug andere Informationen. Wenn wir wissen, dass
die dritte Welle da ist, und wenn wir wissen, dass wir in einem
exponentiellen Wachstum sind, dann kann es doch nicht sein, dass man
sich durch einige niedrige Zahlen über einige Tage irritieren lässt»,

sagte er.

Das RKI geht davon aus, dass sich in den Ferien weniger Menschen
testen ließen, was zu einer geringeren Meldezahl an die
Gesundheitsämter führte. Nach Daten vom Freitag haben die Ämter in
Deutschland dem RKI binnen eines Tages 25 464 Corona-Neuinfektionen
gemeldet, gut 3500 mehr als vor einer Woche. Zudem wurden innerhalb
von 24 Stunden 296 neue Todesfälle verzeichnet, das waren gut 60
mehr.

Nach dem Einstieg der Hausarztpraxen hat sich die Zahl der
Corona-Impfungen in Deutschland stark erhöht. Das stimmt auch Spahn
positiv: «Beim Impfen sind wir auf einem guten Weg. In den
vergangenen Tagen wurden so viele Menschen geimpft, wie nie zuvor»,
sagte Spahn am Freitag in Berlin. Demnach habe es am Donnerstag mit
719 000 Impfungen einen weiteren Tagesrekord gegeben. Am Tag zuvor
waren rund 656 000 Dosen verabreicht worden.

Der sprunghafte Anstieg in den vergangenen Tagen sei darauf
zurückzuführen, dass einerseits mehr Impfstoffe verfügbar gewesen
seien und auch die Hausärzte in die Corona-Impfungen eingestiegen
seien. Demnach hätten Stand Freitagmorgen 14,7 Prozent der Bürger
eine erste Impfung erhalten. Insgesamt verabreicht wurden laut Spahn
seit dem Start der Impfkampagne im Dezember rund 17 Millionen
Impfdosen.

«Die Zahlen zeigen sehr deutlich, dass die Musik bei den
Corona-Impfungen jetzt in den Arztpraxen spielt und die Kolleginnen
und Kollegen dort die Impf-PS schnell, sicher und unbürokratisch auf
die Straße bringen», erklärte der Chef der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, in einer Mitteilung. Sein
Stellvertreter Stephan Hofmeister sagte: «Wer Geschwindigkeit beim
Impfen will, muss sich jetzt dafür einsetzen, dass möglichst viel des
verfügbaren Impfstoffs in die Praxen gesteuert wird.»

Das Impftempo in den Praxen könnte allerdings bald wieder etwas ins
Stocken geraten. Denn seit längerem bekannt ist, dass die
Impfstoffmenge für die Praxen in der Woche Mitte April (KW 16)
vorübergehend geringfügig zurückgeht, bevor sie dann stark steigt -
während sie für die Impfzentren gleich bleibt. KBV-Vize Hofmeister
verlangte, «dass aller verfügbarer und für die Praxen zugesagter
Impfstoff vollständig in den Praxen ankommt. Für Mai erwarten wir
dann eine Größenordnung von vier Millionen Dosen und mehr pro Woche
in den Praxen».

Spahn sagte zur Belieferung, der Beschluss sehe vor, dass die
Impfzentren etwa 2,25 Millionen Impfdosen pro Woche bekämen. «Das
heißt im Umkehrschluss, dass alles, was darüber hinausgeht, jetzt in
die Arztpraxen geht.» Das seien in der vergangenen Woche 940 000
gewesen, in der kommenden Woche eine Million Dosen. «Ich würde
liebend gerne auch noch mehr Impfdosen auch in der darauffolgenden
Woche in die Arztpraxen geben, ich kann aber tatsächlich nur die
Impfdosen zur Verfügung stellen, die tatsächlich da sind.»

In den ersten zwei Wochen würden die Praxen mit dem Impfstoff von
Biontech beliefert, bekräftigte Spahn. Ab Mitte April gebe es etwa
zur Hälfte Biontech und zur Hälfte Astrazeneca, später auch den
Impfstoff von Johnson & Johnson. Biontech liefere bisher sehr
verlässlich und auf den Wochentag genau. Das habe man bei den anderen
Herstellern noch nicht erreicht, hier sei teils nur die Lieferwoche
bekannt, nicht aber der Tag.