Hängepartie für geimpfte Senioren im Heim geht weiter

Gesundheitsvorsorge oder Verschleppungstaktik? Die geimpften Bewohner
eines Seniorenheims müssen vorerst weiter auf das gemeinsame Essen
warten - trotz eines positiven VGH-Votums. Patientenschützer sind
empört.

Steinen/Mannheim (dpa/lsw) - Das Hin und Her um das gemeinsame Essen
für geimpfte Bewohner eines Seniorenzentrums in Südbaden geht weiter.
Das Landratsamt Lörrach hat den Verwaltungsgerichtshof (VGH)
Mannheim um Aufschub hinsichtlich eines Vergleichsvorschlags gebeten,
der die Kantinenöffnung für Geimpfte in dem Heim erlaubte. Die
Behörde wollte eine Fristverlängerung bis zum 21. April. Sie
begründete dies mit neuen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts für
vollständig geimpfte Personen. Diese müssten auf Landes- und
Bundesebene noch ausgewertet werden. Der VGH lehnte am Freitag jedoch
eine Fristverlängerung ab. Beiden Seiten müssen sich bis Montag,
24.00 Uhr, entscheiden, ob sie dem Vergleich zustimmen.

Der Anwalt des Seniorenzentrums in Steinen (Landkreis Lörrach) sprach
nach dem Antrag des Amtes von einer abermals «bizarren Wendung» des
Falls. «Das Land schiebt den dringend gebotenen Grundrechtsschutz für
die geimpften Bewohnenden der Senioreneinrichtung, den inzwischen
auch der VGH Baden-Württemberg mit seinem Vergleichsvorschlag
eingeräumt hat, abermals auf die lange Bank», kritisierte Patrick
Heinemann. Es sei kaum mehr nachvollziehbar, wie
Verwaltungsgerichtsbarkeit und Regierung mit den Grundrechten
geimpfter Senioren umgingen.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch,
sagte: «Niemand hat mehr Verständnis für diese Verschleppungstaktik

auf Kosten alter Menschen.» Nach 13 Monaten Lockdown seien alle 900
000 Pflegeheimbewohner in Deutschland in einer entsetzlichen
Situation. Das «winkeladvokatische Vorgehen» des Landes treffe nicht
nur die Bewohner des Heims in Steinen. Dadurch liege auch die vom
Heim-Anwalt angestrengte Verfassungsbeschwerde auf Eis, auf die viele
Senioren bundesweit ihre Hoffnung setzten, so Brysch. Das Land
blockiere alles auf Kosten der Pflegebedürftigen in Deutschland.

Der VGH hatte am Dienstag in einem Vergleichsvorschlag den Betrieb
der Cafeteria für geimpfte oder genesene Bewohner und Mitarbeiter
erlaubt. Er hatte das mit einer Neueinschätzung des Robert
Koch-Instituts begründet, wonach Geimpfte kaum noch ansteckend seien.

Der Streit um die Kantinen-Öffnung hat schon mehrere Gerichte
beschäftigt. Nach dem Verwaltungsgericht Freiburg hatte auch der VGH
in Mannheim die Öffnung Mitte März zunächst abgelehnt. Dagegen hatte

der Anwalt des Seniorenzentrums, Patrick Heinemann, eine
Anhörungsrüge erhoben und zugleich das Bundesverfassungsgericht
angerufen. Prävention und Infektionsschutz seien wichtig, hätten aber
ihre Grenzen. Die Senioren litten nun schon seit einem Jahr massiv
unter der Isolation durch die Corona-Maßnahmen. Heinemann vertritt
das Heim sowie einen 79 Jahre alten Bewohner.

Der VGH hatte in seinem Vergleichsvorschlag mit einer neuen
Einschätzung des Robert Koch-Instituts argumentiert. Demnach sei das
Risiko einer Virusausscheidung nach vollständiger Impfung stark
reduziert, so dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung
wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spielten. Daher dürften
nach vorläufiger Einschätzung überwiegende Gründe dafür sprechen,

dass aufgrund der geänderten Erkenntnislage ein Anspruch auf die
Ausnahmegenehmigung nun zu bejahen sei, hieß es.

Sollten die Beteiligten den Vergleichsvorschlag bis Montag nicht
annehmen, wird der VGH zeitnah über die Anhörungsrüge entscheiden, so

das Gericht.