Deutschland will Gespräche mit Russland über Sputnik V

Noch vor kurzem hatte Berlin die EU-Kommission zu Verhandlungen über
den russischen Corona-Impfstoff aufgefordert. Die Brüsseler Behörde
handelt aber nicht wie erhofft. Nun will Gesundheitsminister Spahn
bilateral ausloten, ob Sputnik die Impfkampagne beschleunigen könnte.

Berlin/Brüssel (dpa) - Deutschland will mit Russland über mögliche
Lieferungen des Corona-Impfstoffs Sputnik V sprechen. Die
EU-Kommission habe erklärt, dass sie über das russische Präparat
keine Verträge wie mit anderen Herstellern schließen werde, sagte
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag im
WDR5-«Morgenecho». Daraufhin habe er bei einer Videokonferenz der
EU-Gesundheitsminister erklärt, «dass wir dann bilateral auch mit
Russland reden werden». Der staatliche russische
Direktinvestmentfonds RDIF, der das Vakzin im Ausland vermarktet,
bestätigte am Abend Gespräche mit der Bundesregierung.

Dabei gehe es um einen Vorvertrag für den Kauf des Impfstoffes.
Details wurden zunächst nicht genannt. Zuletzt hatte der Fonds bei
Twitter geschrieben, Deutschland im dritten Quartal mit mehr als 20
Millionen Impfdosen versorgen zu können. Deutschland und Russland
würden es verstehen, «dass die Rettung von Menschenleben Priorität
hat und das Timing von entscheidender Bedeutung ist». Der russische
Impfstoff ist den Angaben nach bereits in fast 60 Ländern
registriert.

Spahn betonte mit Blick auf Sputnik V, dass es zunächst eine
Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA geben müsse.
Auch müsse geklärt werden, wie viel Impfstoff Russland kurzfristig
liefern könne. Dennoch starteten einige Bundesländer schon vor einer
möglichen EU-Zulassung Alleingänge. Bayern unterzeichnete am Mittwoch
einen Vorvertrag über 2,5 Millionen Sputnik-Dosen,
Mecklenburg-Vorpommern zog am Donnerstag mit einer Option auf eine
Million Dosen nach. Der Vorstoß der Länder stieß jedoch auch auf
Kritik. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) etwa sieht
die Bundesregierung für eine Beschaffung in der Pflicht, wie ein
Regierungssprecher erklärte.

In Deutschland sind über die EU derzeit vier Impfstoffe zugelassen.
Das Vakzin von Biontech und seines Partners Pfizer war der Erste.
Inzwischen kamen die Zulassungen der Mittel von Moderna, Astrazeneca
und Johnson & Johnson hinzu. Nach dem Einstieg der Hausärzte stieg
die Zahl der Impfungen nun sprunghaft an. So wurden am Mittwoch rund
656 000 Dosen verabreicht - 290 000 mehr als am Vortag, wie aus der
Impfstatistik des Robert Koch-Instituts hervorgeht.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hatte Anfang März ein
Prüfverfahren für Sputnik V im Rahmen einer sogenannten Rolling
Review begonnen. Dabei werden Testergebnisse bereits geprüft, auch
wenn noch nicht alle Daten vorliegen und noch kein Zulassungsantrag
gestellt wurde. Im April wollen EMA-Experten Produktion und Lagerung
des Impfstoffs in Russland begutachten.

Die EU-Staaten Ungarn und Slowakei haben Sputnik bereits auf eigene
Faust angeschafft, Ungarn erteilte eine Notfallzulassung. In der
Slowakei veröffentlichte die staatliche Arzneimittelkontrolle SUKL
einen kritischen Bericht über den russischen Impfstoff, der die
Qualität bemängelte. Bisher wird der Impfstoff in dem Land noch nicht
verwendet. Nach Angaben aus Russland war die Slowakei gebeten worden,
den Impfstoff wegen «mehrfacher Vertragsverletzungen»
zurückzuschicken, wie der staatliche Direktinvestmentfonds RDIF bei
Twitter schrieb. «Impfstoffe sollten Leben retten und nicht für
geopolitische und interne politische Kämpfen eingesetzt werden.»

Deutschland hatte bislang Impfstoff ausschließlich zusammen mit den
anderen EU-Staaten angeschafft. Diesen Weg hatte die Bundesregierung
auch für Sputnik V gefordert - und eine Absage kassiert. Ein Sprecher
der EU-Kommission betonte, ein Vorgehen wie das von Deutschland
bedeute nicht das Ende der europäischen Impfstoffstrategie. Vielmehr
stehe es Ländern frei, bilateral Impfstoff zu beschaffen, der nicht
Bestandteil des gemeinsamen Vorgehens sei.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens,
sagte im ZDF-«Morgenmagazin», die publizierten Daten zu Sputnik V
«sehen sehr gut aus», er wisse aber nicht, was der EMA an
zusätzlichen Daten vorliege. «Wenn der Impfstoff geprüft und
zugelassen wird, hätte ich persönlich dagegen nichts einzuwenden.»

Spahn betonte nun, dass geklärt werden müsse, welche Mengen des
Sputnik-Impfstoffs wann geliefert werden könnten: «Um wirklich einen
Unterschied zu machen in unserer aktuellen Lage, müsste die Lieferung
schon in den nächsten zwei bis vier, fünf Monaten kommen - ansonsten
haben wir so oder so mehr als genug Impfstoff.»

Der Impfstoff-Beauftragte der EU-Kommission, Thierry Breton, erwartet
durch Sputnik V hingegen keine schnell Entlastung. Man müsse sich auf
die Produktion jener Impfstoffe konzentrieren, die in der EU bereits
zugelassen oder kurz davor seien. Auch ohne Sputnik V rechne er mit
genügend Dosen bis Ende Juni, um rund 70 Prozent der Erwachsenen zu
impfen. Im ersten Quartal seien 108 Millionen Dosen geliefert worden,
für das zweite Quartal rechne er mit 360 Millionen weiteren.

Dagegen warnte der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba in der
«Bild» vor dem russischen Impfstoff. «Leider geht es bei Sputnik V
nicht um humanitäre Ziele. Russland benutzt es als ein Werkzeug, um
seinen politischen Einfluss zu vergrößern.» Die Ukraine sieht sich
nach der russischen Einverleibung ihrer Halbinsel Krim am Schwarzen
Meer in einem Krieg mit dem Nachbarland.

Spahn sagte am Donnerstag mit Blick auf den Impfstoff von
Astrazeneca, dass dieser weiterhin nicht bei Menschen unter 60 Jahren
eingesetzt werden sollte. Die EMA hatte am Mittwoch trotz sehr
seltener Fälle von Blutgerinnseln in Hirnvenen jüngerer Menschen
weiterhin uneingeschränkt grünes Licht für die Anwendung des
Impfstoffes gegeben. Doch auch andere EU-Staaten schränkten den
Gebrauch ein. So sollen in Belgien zunächst nur Menschen über 55, in
Spanien und Italien nur Menschen über 60 mit Astrazeneca geimpft
werden. In Großbritannien wird er nur über 30-Jährigen gespritzt.

Die Entscheidung über den Wechsel von Astrazeneca zu einem anderen
Präparat für die Corona-Zweitimpfung in Deutschland soll erst in der
kommenden Woche fallen. Zunächst wollten die Gesundheitsminister der
Länder am nächsten Dienstag mit Spahn und dem Stiko-Vorsitzenden
Mertens noch offene Fragen diskutieren, hieß es am Donnerstag aus den
Reihen der Länderminister.