Spahn: Künftig Freiheiten für Geimpfte beim Einkaufen und Friseur

Über vier Millionen Menschen haben in Deutschland bereits zwei
Impfungen gegen das Coronavirus erhalten. Für sie könnte es nach
Einschätzung des Gesundheitsministers Erleichterungen geben - wenn es
nach der dritten Coronawelle Lockerungen gibt.

Berlin (dpa) - Wer vollständig gegen das Coronavirus geimpft ist,
kann laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei
Lockerungsschritten nach der dritten Corona-Welle bestimmte
Freiheiten zurückbekommen. «Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test
ins Geschäft oder zum Friseur. Zudem müssen nach Einschätzung des RKI

vollständig Geimpfte auch nicht mehr in Quarantäne», sagte Spahn der

«Bild am Sonntag». Dies sei eine wichtige Erkenntnis, wenn man nach
dem nun dringend notwendigen Brechen der dritten Welle über
testgestützte Öffnungsschritte etwa für den Einzelhandel rede.

Spahn bezog sich bei seinen Äußerungen auf eine Auswertung neuester
wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das Robert Koch-Institut (RKI),
die auch an die Bundesländer gegangen sei. Die Erkenntnisse würden
nun zeitnah in Gesprächen mit den Ländern in die Praxis umgesetzt.
Der Minister sagte: «Wer vollständig geimpft wurde, kann also in
Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde.» Das
erleichtere den Alltag in der Pandemie.

Laut Bundesgesundheitsministerium sind gut zwölf Prozent der
Deutschen mindestens einmal geimpft worden. Das sind mehr als zehn
Millionen Bürgerinnen und Bürger. 4,3 Millionen Menschen haben
demnach bereits die zweite Impfung erhalten.

In dem RKI-Bericht an Spahns Ministerium, der auch der Deutschen
Presse-Agentur vorliegt und über den die «Bild am Sonntag» zuerst
berichtet hatte, heißt es: «Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das

Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft
wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten
Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen
Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen.» Das
Risiko einer Virusübertragung erscheine «nach gegenwärtigem
Kenntnisstand in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der
Epidemiologie der Erkrankung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle
mehr spielen».

Das Risiko könne durch weitere Vorgaben wie Selbstisolierung bei
Symptomen sowie das weitere Einhalten der sogenannten AHA+L-Regeln
(Abstand, Hygiene, Alltagsmaske plus Lüften) zusätzlich reduziert
werden, heißt es in dem von RKI-Chef Lothar Wieler unterzeichneten
Schreiben weiter.

In einigen regionalen Modellversuchen können Menschen mit
tagesaktuellem negativen Corona-Schnelltest einkaufen gehen, in
Berlin zum Beispiel seit Mittwoch. Allerdings wird die Möglichkeit
wenig genutzt. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands
Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, beklagte am Samstag eine
geringe Auslastung der Läden zwischen zwei und zehn Prozent. «So
bringt das nichts, das kann kein Modell für länger sein», sagte
Busch-Petersen der dpa. Die Kosten lägen für solche Nachfrage zu
hoch.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte unterdessen, die
Corona-Regeln sollten in Deutschland einheitlich per Bundesgesetz
verankert werden. «Es gibt die große Sehnsucht in der Bevölkerung
nach einheitlichen Regeln. Mein Vorschlag ist deshalb, die
einheitlichen Regeln durch ein Bundesgesetz festzulegen», sagte er
der «Welt am Sonntag». «Dieses Gesetz sollte genau vorschreiben,
welche Schritte bei den jeweiligen Inzidenzwerten unternommen werden
müssten - von der Verschärfung bis zur Lockerung.»

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor einer Woche in der
ARD-Sendung «Anne Will» einen Teil der Länder dafür kritisiert, das
s
sie die vereinbarten Beschlüsse gegen die Pandemie nicht umsetzten.
Wenn das nicht «in sehr absehbarer Zeit» geschehe, müsse sie sich
überlegen, wie sich das vielleicht auch bundeseinheitlich regeln
lasse. «Das ist mein Amtseid, das ist meine Verpflichtung», sagte
Merkel und verwies auch auf das Infektionsschutzgesetz.

Ein Regierungssprecher sagte der dpa am Karsamstag, um die dritte
Corona-Welle zu brechen, werde derzeit überlegt, ob und wie der Bund
einheitliche Vorgaben zur Eindämmung von Corona machen solle - falls
das Vorgehen der Länder nicht ausreiche. «Die Länder haben das ganze

Instrumentarium zur Verfügung. Und wir beobachten, dass in vielen
Ländern jetzt auch zusätzliche Maßnahmen umgesetzt werden», hieß
es.

Seehofer sagte, ein Bundesgesetz könne in kürzester Zeit beschlossen
werden. «Da es wie alle Bundesgesetze durch den Bundestag und den
Bundesrat verabschiedet würde, wäre auch größtmögliche Legitimati
on
hergestellt, was die Opposition immer wieder gefordert hat.»

Auch CSU-Chef Markus Söder plädierte für ein Bundesgesetz. Der «Bil
d
am Sonntag» sagte Bayerns Ministerpräsident: «Um Corona effektiv zu

bekämpfen, braucht es einen einheitlichen bundesweiten Pandemieplan
anstelle eines Flickenteppichs mit unüberschaubaren Regeln in den
einzelnen Bundesländern.» So sei eine einheitliche konsequente
Anwendung der Notbremse über einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen
pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen nötig.

Söder nannte für diesen Fall Ausgangsbeschränkungen, eine Testpflicht

in den Schulen sowie eine flächendeckende Pflicht zum Tragen von
FFP2-Masken. Zudem sei zu überlegen, ob ein erneuter kurzer, aber
dafür konsequenterer Lockdown nicht ein besserer Weg wäre als ein
«halbherziges und dafür endloses Corona-Konzept, das die Zahlen der
Neuinfektionen auch nicht wirklich reduziert hat».

Kurz vor der Veröffentlichung dieser Neuigkeiten ergab eine Umfrage
des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen
Presse-Agentur, dass fast zwei Drittel der Deutschen im Kampf gegen
die Corona-Pandemie für ein Verbot von Urlaubsreisen ins Ausland
sind. Es sprachen sich 64 Prozent für einen solchen Schritt aus, nur
26 Prozent sind dagegen. 10 Prozent machten keine Angaben. Angesichts
der Diskussion über Urlaub auf Mallorca hatte die Bundesregierung
erwogen, Reisen in beliebte Urlaubsgebiete im Ausland vorübergehend
zu unterbinden. Merkel hatte die zuständigen Fachressorts beauftragt,
die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen. Am vergangen Montag hieß es,

dass ein solcher Schritt «zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant» sei.

Mallorca war am 14. März wegen sinkender Infektionszahlen von der
Liste der Corona-Risikogebiete gestrichen worden, was vorübergehend
zu einem Buchungsboom für die Osterzeit geführt hatte. Urlauber, die
von der beliebtesten Urlaubsinsel der Deutschen zurückkehren, müssen
nun nicht mehr in Quarantäne. Bund und Länder raten aber weiterhin
eindringlich von touristischen Reisen im In- und ins Ausland ab.