Viel Echo für Pflege-Echtzeit-Doku in der Primetime Von Gregor Tholl, dpa

Joko und Klaas zeigen bei ProSieben sieben Stunden lang die Schicht
einer Pflegekraft. Im Netz gibt es viel Lob - und auch Kritik an der
Politik. Der Vizekanzler und der Bundesgesundheitsminister reagieren.

Unterföhring/Berlin (dpa) - Experimentelles Fernsehen im Privat-TV:
Der für Unterhaltung bekannte Sender ProSieben hat am Mittwochabend
auf Betreiben der Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas
Heufer-Umlauf sieben Stunden freigeräumt, um mit einer Doku ohne
Werbeunterbrechung auf Deutschlands Pflegenotstand aufmerksam zu
machen.

Unter dem Motto #Nichtselbstverständlich wurde mit Hilfe einer
Bodycam in Echtzeit eine Schicht der Krankenpflegerin Meike Ista im
Knochenmark- und Transplantationszentrum der Uniklinik Münster
gezeigt. Darauf reagierten sogar Bundesminister.

Der Sender mit Sitz in Unterföhring bei München schrieb auf Twitter:
«Bitte helft, dass aus diesem Abend eine große Respektkundgebung
wird, die etwas ändert.» Anerkennung gab es auch von der Konkurrenz:
Arte lobte in einem Tweet «ein Stück deutsche TV-Geschichte», RTL
nannte es eine «starke Aktion».

Die Visite bei den Patientinnen und Patienten war mit jedem einzelnen
Arbeitsschritt zu sehen. Zuschauer erlebten unmittelbar mit, was es
wirklich heißt, in der Pflege zu arbeiten. Die Sendung begann kurz
nach 20.15 Uhr (dokumentiert am 18. März um 6 Uhr) - und war erst
vorbei, als Ista Feierabend hatte. Das war im TV um 3.00 Uhr morgens.

Im Schnitt verfolgten 730 000 Menschen die Sendung «Joko & Klaas
Live». ProSieben sprach von einer «Nettoreichweite» von fast sechs
Millionen. Damit ist die Zahl der Leute gemeint, die mindestens
einmal kurz erreicht worden sind.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bezog sich am Donnerstag
bei einer Pressekonferenz in Berlin auf die Sendung: «Es ist gut,
dass die Pflege jetzt in der Primetime läuft. Pflegerinnen und
Pfleger verdienen unseren Respekt, unser Dankeschön, aber vor allem
bessere Arbeitsbedingungen.» Er kündigte dafür Gespräche mit
Verbänden der Branche an.

Schon in der Nacht zum Donnerstag hatte SPD-Kanzlerkandidat Olaf
Scholz auf Twitter reagiert: «Man kann es nicht oft genug sagen -
Danke an alle Pflegerinnen und Pfleger! Ohne sie geht nichts. Antwort
auf diese Erkenntnis ist nicht, Beifall zu klatschen. Respekt heißt:
gute Löhne und Arbeitsbedingungen.»

Unter dem Tweet des Finanzministers sammelte sich auch Kritik. Der in
der Sendung vorkommende Krankenpfleger Alexander Jorde twitterte:
«Ich will keine Worte mehr, ich will Taten. Die SPD ist Teil der
Bundesregierung. Du bist Vizekanzler, Olaf Scholz.»

Pia Zimmermann, die Sprecherin für Pflegepolitik der
Linke-Bundestagsraktion, forderte am Donnerstag nach der Sendung,
«die bislang privat Versicherten in ein solidarisches System»
einzubinden». Wenn man alle Einkunftsarten bei den Beiträgen
berücksichtige, auch Kapital-, Zins- und Mieteinnahmen, dann seien
«besser bezahlte Pfleger*innen» solide finanzierbar.

In der Doku sagte Pfleger Jorde: «Wir können nicht sagen: Morgen
machen wir mal die Klinik zu, oder morgen ist die Intensivstation mal
zu, und wir gehen auf die Straße. Dann sterben Menschen! Das zeigt ja
wieder, wie hoch unsere Verantwortung ist. Aber es begrenzt uns eben
auch in unseren Möglichkeiten, unsere Interessen durchzusetzen.»

Viele Menschen forderten auf Twitter mehr Engagement von den
Regierenden. Tenor der Sendung: Politik und Gesellschaft versäumten
es seit Jahrzehnten, faire Bezahlung und gut machbare Arbeitsmengen
für Pflegekräfte zu organisieren. Und es werde immer schlimmer. Der
Bielefelder Intensivpfleger Ralf Berning wies auf die andauernde
Überbelastung hin. Er kenne Leute, die 23 Tage am Stück arbeiteten,
das sei «völlig unmenschlich».

Winterscheidt (42) und Heufer-Umlauf (37) behandeln in der Sendung
«Joko & Klaas Live» immer wieder gesellschaftlich relevante Themen.
Die Sendezeit zu ihrer freien Verfügung hatten sich die Moderatoren
in der am Dienstag ausgestrahlten Show «Joko & Klaas gegen ProSieben»

erspielt, in der sie in Wettkämpfen gegen ihren Arbeitgeber antreten.