Merkel ruft zum Verzicht auf Reisen an Ostern auf

Die Kanzlerin ruft zur Osterruhe auf, die Polizei bereitet sich auf
turbulente Tage vor, und die Länder senden unterschiedliche Signale -


unterdessen steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen auf den
höchsten Wert seit Mitte Januar.

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Menschen
in Deutschland zum Verzicht auf alle nicht zwingend notwendigen
Reisen zu Ostern aufgefordert. Wegen der immer weiter steigenden Zahl
von Corona-Infektionen solle es ein Osterfest «im kleinen Kreis, mit
sehr reduzierten Kontakten» werden, sagte Merkel am Donnerstag in
einer Videobotschaft. Einzelne Bundesländer verschärften ihre Regeln
im Kampf gegen das Virus. Es wurden aber auch Öffnungsschritte
angekündigt. Ein bundesweit einheitlicher Kurs zeichnet sich weiter
nicht ab.

Der zuletzt stark in die Kritik geratene CDU-Vorsitzende Armin
Laschet will am Osterwochenende über den weiteren Corona-Kurs
nachdenken. In einigen Städten und Regionen erwarteten Behörden mit
wachsender Sorge Ostertourismus und Demonstrationen von
Corona-Leugnern.

Das Robert Koch-Institut (RKI) warnte, eine Überlastung der
Intensivmedizin könne «nur durch eine möglichst frühe und umfassend
e
Reduktion» der seit März gestiegenen Kontakte in der Bevölkerung
vermieden werden. Binnen eines Tages wurden 24 300
Corona-Neuinfektionen gemeldet - der höchste Wert seit Mitte Januar.

Merkel sagte: «Mit unserem Verhalten können wir das starke Wachstum
der Infektionszahlen wieder bremsen, stoppen und dann umkehren. Auch
darum geht es an Ostern in diesem Jahr.» Sie bitte dringend, «auf
alle nicht zwingenden Reisen zu verzichten». Es gelte, «dass wir uns
alle konsequent an alle Regeln halten».

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte fest, viele Ansteckungen
passierten derzeit im privaten Bereich - auch etwa bei Treffen unter
Nachbarn. Wenn überhaupt, sollte man sich idealerweise draußen
treffen und in Innenräumen lediglich mit Abstand und Masken. Wie
Merkel bereits Tage zuvor verwies Spahn zudem auf die vereinbarten
Instrumente. Bund und Länder hatten am 3. März beschlossen, Öffnungen

in Regionen mit mehr als 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern
und sieben Tagen mit einer «Notbremse» zurückzunehmen.

Aktuell liegt diese Inzidenz in Deutschland laut RKI bei über 134.
Vor drei Wochen, am 11. März, lag sie noch bei 69. Für die
galoppierenden Zahlen ist die sehr ansteckende Corona-Variante
B.1.1.7. verantwortlich, die laut RKI jetzt einen Anteil von 88
Prozent hat. Sie gilt auch als ursächlich für schwerere
Krankheitsverläufe. Merkel sagte: «Damit ist diese dritte Welle auch

eine neue Pandemie.»

Pflegerinnen und Pfleger in den Krankenhäusern wüssten genau, was sie
erwarte, sagte Merkel. Sie bereiteten sich darauf vor, «dass sich die
Betten auf ihren Stationen wieder füllen». Merkel sagte: «Jetzt sin
d
es in der Regel nicht mehr die ganz alten Menschen, um deren
Überleben sie kämpfen. Jetzt sind es mittelalte, auch jüngere
Patientinnen und Patienten, die sie beatmen müssen.»

Das RKI erläuterte, die Impfkampagne sei noch nicht so weit
vorangeschritten, dass sie das Infektionsgeschehen wesentlich
beeinflusse. Deutschland habe auch das EU-Ziel verfehlt, mindestens
80 Prozent der Menschen über 80 bis Ende März zu impfen. Die
Bundesländer liegen nach RKI-Angaben hier zwischen 26 Prozent und 47
Prozent bei den Zweitimpfungen.

Im Umgang mit dem exponentiellen Infektionswachstum gehen die
Bundesländer weiter unterschiedliche Wege. Sachsens Regierungschef
Michael Kretschmer (CDU) sagte bei einem Klinikbesuch in Plauen, das
Vogtland, wo die Inzidenz derzeit über 400 liegt, sei der Entwicklung
in Sachsen und in Deutschland um vielleicht drei Wochen voraus.

In Berlin gelten ab Karfreitag strengere Kontaktbeschränkungen. Im
Freien dürfen sich Menschen demnach nachts zwischen 21.00 und 5.00
Uhr nur noch alleine oder zu zweit aufhalten. Tagsüber sind
Zusammenkünfte im Freien und zu Hause weiter mit maximal fünf
Personen aus zwei Haushalten erlaubt. In beiden Fällen werden Kinder
nicht mitgezählt. Nach Ostern dürfen sich in der Hauptstadt drinnen
tagsüber maximal Angehörige eines Haushalts plus eine weitere Person
zusammen aufhalten. Nachts sind dann keine Besuche mehr erlaubt. In
Brandenburg gilt über das Osterfest eine nächtliche
Ausgangsbeschränkung - doch sind über Ostern zugleich Zusammenkünfte

mit den Angehörigen von zwei Haushalten erlaubt.

Niedersachsens Landesregierung will nach Ostern weitreichende
Corona-Lockerungen in Kommunen ermöglichen. 65 Orte bewarben sich für
entsprechende Modellprojekte. Ausgewählt werden sollen rund 25
Kommunen. Mittels negativer Corona-Tests bei Mitarbeitern und
Besuchern sollen Geschäfte, Theater und Kinos, Galerien und Museen,
Fitnessstudios und Straßencafés öffnen können. Im
baden-württembergischen Tübingen steht bei einem ähnlichen
Modellprojekt mittlerweile ein vorzeitiges Ende im Raum, weil die
Infektionen zugenommen haben. Baden-Württemberg legte Modellprojekte
nach Tübinger Vorbild vorerst auf Eis - mehr als 50 Kommunen hatten
Anträge gestellt oder ihr Interesse bekundet.

Auch in Sachsen-Anhalt, wo auch nach Ostern Restaurants, Boutiquen
oder Kinos modellhaft öffnen sollten, soll es «aus organisatorischen
Gründen» zunächst nicht dazu kommen, wie ein Sprecher des
Wirtschaftsministeriums sagte. So könne es noch bis zu vier Wochen
dauern, bis alle Gesundheitsämter an das geplante System der
Kontaktverfolgung über die Luca-App angeschlossen seien.

Der Streit um schärfte Regeln ging weiter. CDU-Chef Armin Laschet
will über die Ostertage darüber nachdenken, welche Maßnahmen die
dritte Welle eindämmen könnten. Die gemeinsam beschlossene Osterruhe
habe nicht funktioniert, sagte Laschet am Mittwochabend im ZDF-«heute
journal». «Deshalb müssen wir jetzt gemeinsam über die Ostertage
nachdenken, was ist denn eine Ersatzmöglichkeit, wo können wir
weitere Schutzmechanismen einführen, wo können wir das Leben
herunterführen, darüber muss gesprochen werden.»

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) lehnte landesweite
Ausgangsbeschränkungen ab. «Wir müssen auch an die Leute denken, die

in kleinen Mietswohnungen mit vielen Leuten leben», sagte der
CDU-Minister im WDR. Die Ministerpräsidenten Bayerns und
Baden-Württembergs, Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann
(Grüne), hatten die anderen Länder zu einer konsequenten Umsetzung
der Notbremse aufgefordert. Der Duisburger Oberbürgermeister Sören
Link (SPD) setzte sich in einem Brief an Merkel für einen bundes- und
landesweiten harten Lockdown ein.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach forderte auf Twitter den
Schutz noch ungeimpfter Menschen mit höherem Alter oder
Vorerkrankungen durch Lockdownschritte: «Wir gefährden in den
nächsten Wochen viele Risikopatienten, die jetzt 1 Jahr auf den
Impfstoff warten. Es wäre ein spektakuläres, ja historisches
politisches Versagen, wenn wir jetzt nicht mehr die politische Kraft
hätten, sie noch ein paar Wochen bis zur Impfung zu schützen.» Laut
RKI werden die Kapazitäten der Intensivstationen nur dann nicht
überlastet, wenn es vorsichtige Lockerungen erst ab Mai/Juni gebe.