Modellprojekte sollen Ausweg aus dem Lockdown weisen

Die Rückkehr zur Normalität sehnen nach einem Jahr Corona-Krise viele
herbei. In rund 25 niedersächsischen Städten wird es nach Ostern
zumindest eine Teil-Rückkehr geben. Doch daran gibt es auch Kritik.

Hannover (dpa/lni) - Über Ostern sollen die Kontakte noch einmal
möglichst reduziert werden, viele Familienfeste fallen flach. Doch
direkt im Anschluss will die Landesregierung das öffentliche Leben in
Teilen Niedersachsens wieder ankurbeln: in rund 25 ausgewählten
Kommunen, auf der Basis von umfassenden Tests und digitaler
Kontakterfassung - trotz nach wie vor hohen Corona-Infektionszahlen.

Was wird geöffnet?

Die Modellprojekte sollen den Zugang zum Einzelhandel, zur
Gastronomie sowie zu Kultur- und Sportveranstaltungen ermöglichen.
Die Idee: Mittels negativer Corona-Tests könnten Geschäfte, Theater
und Kinos, Galerien und Museen, Fitnessstudios und die Außenbereiche
von Restaurants im Idealfall zu «sicheren Zonen» erklärt werden.

Wann geht es los?

Theoretisch direkt nach Ostern, also am kommenden Dienstag (6.
April). Drei Wochen lang soll der Lockdown in den ausgewählten
Kommunen dann de facto ausgesetzt werden. Mehrere Bewerber haben aber
bereits mitgeteilt, dass es angesichts der benötigen Vorbereitungen
so schnell nicht gehen wird. Die Landeshauptstadt Hannover etwa
bereitet sich für den Fall einer Zusage auf eine Öffnung zum 12.
April vor, die Stadt Nordhorn sogar erst zum 29. April.

Welche Städte machen mit?

Das entscheidet die Landesregierung in Abstimmung mit den kommunalen
Spitzenverbänden am Samstag. 65 Orte haben sich beworben. Unter den
Bewerbern sind einige Großstädte - Hannover beispielsweise hat auch
die Unterstützung der gleichnamigen Region. Interesse haben daneben
unter anderem Oldenburg, Osnabrück, Lüneburg, Hildesheim, Nordhorn
und Uelzen signalisiert.

Welche Voraussetzungen müssen die Kommunen erfüllen?

Die Modellstädte müssen sicherstellen, dass die Testinfrastruktur
steht und die digitale Kontaktnachverfolgung gewährleistet ist. Mit
Blick auf die sogenannte Inzidenz hat das Land zudem eine rote Linie
bei Überschreiten der 200er-Marke gezogen. Liegt eine Region darüber,
finden dort keine Öffnungen statt. Wird der Wert während des Versuchs
überschritten, wird aus der roten jedoch eine hellrosa Linie -
abgebrochen wird das Projekt nur, wenn die Inzidenz drei Tage in
Folge über 200 liegt und der Anstieg nicht auf die zusätzlichen Tests

oder einen klaren Infektionsherd zurückzuführen ist. Derzeit liegen
zwei Regionen in Niedersachsen über 200: die Stadt Salzgitter und der
Landkreis Cloppenburg. Aber auch in Bewerberstädten wie Osnabrück
(171,9) und in der Region Hannover (146,8) ist der Wert sehr hoch.

Welche Corona-Tests werden benötigt?

Als Bescheinigung akzeptiert werden professionelle PCR- und
Antigen-Tests mit negativem Ergebnis, jedoch keine Selbsttests.
Sowohl die Mitarbeiter der geöffneten Betriebe als auch die Kunden
und Besucher müssen diese vorweisen können. Ausgenommen sind
lediglich Kinder bis einschließlich sechs Jahre.

Wie werden die Kontaktdaten erfasst?

Das Land hat einen Vertrag zur Nutzung der App Luca abgeschlossen.
Die soll dafür sorgen, dass sofort ersichtlich ist, wo es zu
Kontakten mit Infizierten gekommen ist. Das soll die Nachverfolgung
der Infektionsketten durch die Gesundheitsämter erleichtern. Für
Betriebe und Kunden ist das Smartphone-Programm kostenlos. Das Land
zahlt für die zunächst einjährige Nutzung rund drei Millionen Euro.

Wie groß ist das Infektionsrisiko?

Das wird sich zeigen müssen. Die Vorgaben zur Testpflicht und
Kontaktnachverfolgung sollen das Risiko minimal halten. Doch ob das
klappt, ist fraglich. Eine wissenschaftliche Begleitung der Öffnungen
soll Klarheit schaffen. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob ein
negativer Corona-Test hinreichend Sicherheit gibt, um das öffentliche
Leben wieder hochzufahren. Kritiker befürchten, dass die vereinzelten
Öffnungen zu einem Einkaufstourismus führen könnten, der die ohnehin

rasante Zunahme der Infektionen weiter beschleunigt.

Welche Erfahrungen hat Tübingen als Modellkommune gemacht?

In der Unistadt in Baden-Württemberg können die Menschen bereits seit
dem 16. März mit einem Negativtest shoppen oder in Theater und Museen
gehen. Noch am Montag hatte das Land zugestimmt, den Modellversuch
bis zum 18. April zu verlängern und gleichzeitig die Ticketausgabe an
Auswärtige zu begrenzen und über Ostern auszusetzen. Allerdings ist
die Inzidenz mittlerweile so deutlich gestiegen, dass ein vorzeitiger
Abbruch im Raum steht. Lag sie am 18. März noch bei 19,7, beträgt sie
mittlerweile fast 90. Modellprojekte in weiteren Städten liegen in
Baden-Württemberg daher nun auf Eis.

Sind die Modellprojekte mit den anderen Bundesländern abgestimmt?

Niedersachsen sieht sein Vorgehen durch den Bund-Länder-Beschluss vom
22. März gedeckt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte allen
Lockerungen und Modellprojekten am Sonntag allerdings eine Absage
erteilt. Dafür bekam sie Widerspruch auch aus der eigenen Partei.
«Ich befürchte, wir werden mit einem gewissen Infektionsgeschehen in
Deutschland leben müssen», sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister
Bernd Althusmann (CDU) angesprochen auf Merkels Äußerungen. Der Weg
aus der Pandemie heraus könne nicht nur Lockdown lauten.

Lohnen sich die Öffnungen wirtschaftlich?

Daran gibt es zumindest Zweifel - denn einerseits sind die Auflagen,
die die Anbieter erfüllen müssen, umfangreich, andererseits ist
unklar, wie viele Menschen sich angesichts des Virus überhaupt in die
Geschäfte, Restaurants und Kinos wagen wollen. «Die erwarteten
Umsätze in der Testphase stehen in keinem Verhältnis zum Aufwand»,
sagte der Sprecher der Innenstadthändler in Hannover, Martin
Prenzler, der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung» (Donnerstag). Doch
die Hoffnung, dass aus den Modellprojekten längerfristige Öffnungen
werden könnten, überwiegt in den Bewerberstädten.