«Wir sind für jeden Strohhalm dankbar» - Modellprojekt gestartet Von Andreas Hummel, dpa

Seit fünf Monaten sind Hotels und Gaststätten in Sachsen für private

Gäste geschlossen. Wie ein Restaurantbesuch in Pandemie-Zeiten
möglich ist, das soll ein Modellprojekt in Augustusburg zeigen.
Pünktlich zu Ostern bewirten dort Gastronomen nun wieder ihre Gäste.

Augustusburg (dpa) - Im Ausflugslokal «Rost's Wiesen» klappern wieder
die Teller. Für Geschäftsführer Uwe Schreier, der in Augustusburg
auch ein Café betreibt, ist das Musik in den Ohren. «Es tut gut zu
sehen, dass hier wieder Leben herrscht», sagte er am Freitag. Das
Telefon habe sich «heiß geklingelt», weil Anrufer - vor allem aus dem

Umland, aber auch aus Dresden und Plauen - sich am Osterwochenende
einen Tisch sichern wollten. Nach fünf Monaten Lockdown haben seit 1.
April wieder Restaurants und Hotels in der 4500 Einwohner zählenden
Stadt im Landkreis Mittelsachsen für private Gäste geöffnet - als
erste in Sachsen. Schreier: «Wir sind für jeden Strohhalm dankbar.»

Möglich macht das ein Modellprojekt, an dem schon länger in
Augustusburg gearbeitet wird. Doch erst am Mittwoch - einen Tag vor
dem Start - gab das zuständige Landratsamt grünes Licht. «Das ist f
ür
Sachsen ein großes Hoffnungsprojekt», schwärmte Wirtschaftsminister
Martin Dulig (SPD) zum Auftakt. Auf diese Weise solle gezeigt werden,
wie trotz des Virus Öffnungen im Zusammenspiel mit Tests und der
Kontaktnachverfolgung möglich seien. Dulig sprach sich für eine
kleine Zahl weiterer solcher Projekte aus und bedauerte, dass nicht
auch in Oberwiesenthal das Gastgewerbe zu Ostern öffnen kann. Das
Landratsamt des Erzgebirgskreises hatte das Projekt am Fichtelberg
jüngst gestoppt.

Zuletzt lag die Wocheninzidenz in Augustusburg nach Angaben von
Bürgermeister Dirk Neubauer (SPD) rein rechnerisch über der Marke von
300 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern innerhalb einer Woche.
Konkret seien das 14 neue Fälle innerhalb von 7 Tagen. In Sachsen
insgesamt lag die Inzidenz am Donnerstag und Freitag um den Wert von
190.

Das Verfahren in Augustusburg funktioniert so: Die Gäste melden sich
an und erhalten einen QR-Code, mit dem sie an dem System teilnehmen.
Vor Ort absolvieren sie zu ihrem vorher gebuchten Termin einen
kostenlosen Antigen-Test. Ist der negativ, wird der QR-Code ihre
Eintrittskarte für Hotels und Gaststätten. Er wird jeweils beim
Kommen und Gehen zur digitalen Kontaktnachverfolgung gescannt. Die
Gäste müssen sich in den Lokalen weiterhin an die Hygiene-Regeln und
Kontaktbeschränkungen halten. So dürfen in den Restaurants maximal
fünf Personen aus zwei Hausständen an einem Tisch sitzen; Kinder
werden dabei nicht mitgezählt - für sie ist auch der Test freiwillig.

Das Personal wird ebenfalls täglich getestet. Das Prinzip ist, dass
nur negativ getestete und damit nicht infektiöse Menschen
aufeinandertreffen. Zudem wird das Projekt von der Universität Mainz
wissenschaftlich begleitet. Mit der Öffnung der Gastronomie - ab
Dienstag soll auch der Besuch des markanten Renaissanceschlosses in
der Stadt einbezogen werden - hofft Bürgermeister Neubauer auch auf
einen Anreiz für die Menschen, sich testen zu lassen. Auf diese Weise
könne die Dunkelziffer an Corona-Infektionen besser ausgeleuchtet
werden, betonte er.

Mit dem Start zeigte sich Neubauer zufrieden. «Wir werden nicht
überrannt, aber es gibt viele Reservierungen.» So sei der Zustrom an
Besuchern gut zu handhaben. Wie lange Hotels und Gaststätten in
Augustusburg offen bleiben, ist jedoch ungewiss. Sollte die Zahl von
1300 Covid-19-Patienten auf Normalstationen in sächsischen Kliniken
erreicht werden, wird das Projekt gestoppt. Das könnte nach
Einschätzung von Experten schon nach Ostern so weit sein.

Nach Ansicht des Hotel- und Gaststättenverbandes in Sachsen sind
solche Projekte längst überfällig. «Die Unternehmen sind am Ende»
,
konstatierte Hauptgeschäftsführer Axel Klein. Seinen Angaben nach
gibt es hierzulande rund 9500 Betriebe im Gastgewerbe mit 52 000
dauerhaft Beschäftigten. «Wir gehen davon aus, dass - wenn Getestete
auf Getestete treffen - das Risiko überschaubar ist.»

Gastwirt Schreier jedenfalls ist froh, dass der Lockdown für ihn und
seine Mitarbeiter vorerst vorbei ist. Die Zeit sei psychisch sehr
belastend gewesen, bekannte er. Und doch ärgert er sich, dass er die
Sommerrodelbahn an seinem Lokal noch geschlossen halten muss. «Das
verfälscht doch den Test, wenn ich die nicht mit aufmachen darf.»
Wirtschaftsminister Dulig baut derweil auf einen Erfolg solcher
Projekte. Ziel sei, dass die Menschen wieder Urlaub machen, in
Gaststätten gehen und Theateraufführungen besuchen könnten, erklärt
e
er: «Und bitte noch in diesem Sommer.»

Bei der Frage nach ihrem letzten Restaurantbesuch müssen Waltraud und
Gerd Stengel erst einmal nachdenken. Das Ehepaar aus Flöha war gleich
am Donnerstag ins Augustusburger Testzentrum gekommen. «Wir bekommen
Besuch und wollen mal wieder in die Gaststätte gehen», erzählte die
79-Jährige. «Ich freue mich sehr darauf.»