Fünf Prozent vollständig Geimpfte in Deutschland - noch zu wenig

Die Hoffnung, dass sich die Impfwelle schnell vor die dritte
Pandemiewelle schiebt, ist erloschen. Intensivmediziner warnen, dass
in wenigen Wochen die Kapazitätsgrenze in den Krankenhäusern erreicht
sein könnte.

Berlin (dpa) - Fast 100 Tage nach dem deutschen Impfstart in der
Pandemie haben rund fünf Prozent der Bevölkerung bereits die zweite
Dosis erhalten. Mehr als 11,5 Prozent haben mindestens die erste
Spritze bekommen, wie aus offiziellen Daten des Robert Koch-Instituts
(RKI) hervorgeht. Nach Einschätzung des RKI reichen die
Impffortschritte aber nicht, um die dritte Pandemie-Welle
auszubremsen. Seit Tagen fordern Wissenschaftler und Mediziner einen
harten Lockdown.

Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem RKI zuletzt 21 888

Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet, wie aus Zahlen von
Freitagmorgen hervorgeht. Am Donnerstag meldete das RKI 24 300 neue
Corona-Infektionen - das war der höchste Tageswert seit Mitte Januar.

Innerhalb von drei Wochen hat sich die bundesweite
Sieben-Tage-Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner und Woche - damit fast verdoppelt. Hatte der Wert am 12.
März noch bei 72,4 gelegen, gab ihn das RKI am Freitag mit 134,0 an.

Die Impfkampagne sei noch nicht so weit vorangeschritten, um das
Infektionsgeschehen wesentlich zu beeinflussen, heißt es im jüngsten
RKI-Bulletin. Deutschland hat das EU-Impfziel für Menschen über 80
Jahre darüber hinaus verfehlt. Ziel der EU-Kommission war, dass
mindestens 80 Prozent dieser Altersgruppe bis Ende März gegen das
Coronavirus geimpft sein sollten. Gemeldete Daten aus deutschen
Bundesländern liegen nach RKI-Angaben aber deutlich darunter -
zwischen 26 Prozent und 47 Prozent bei den Zweitimpfungen.

Nach einer Modellprognose des Instituts lässt sich eine Überlastung
der Intensivstationen nur verhindern, wenn Lockerungen vorsichtig
erst ab Mai und Juni sowie dann mit sukzessiver Steigerung bis in den
Spätsommer kommen. Dann könnte ein Großteil der Bevölkerung geimpft

sein.

Als Hauptursache für den schnellen neuen Anstieg sehen Forscher die
zuerst in Großbritannien entdeckte, sehr ansteckende Corona-Variante
B.1.1.7. Sie breitet sich rasch in Deutschland aus. Aktuell hat sie
nach der aktuellsten RKI-Analyse bereits einen Anteil von 88 Prozent
im Infektionsgeschehen erreicht. Die Verbreitung dieser Variante sei
besorgniserregend, weil sie «nach bisherigen Erkenntnissen deutlich
ansteckender ist und vermutlich schwerere Krankheitsverläufe
verursacht als andere Varianten.» Alle in Deutschland verfügbaren
Impfstoffe schützten nach RKI-Angaben jedoch sehr gut vor einer
Erkrankung durch B.1.1.7 und auch vor schweren Erkrankungen durch
zwei andere Varianten.

Der wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters, Christian
Karagiannidis, warnte vor einer Überfüllung von Deutschlands
Intensivstationen innerhalb von vier Wochen. «Seit Mitte März sind
unterm Strich 1000 Intensivpatienten zusätzlich in den Krankenhäusern
gelandet. Wenn sich diese Geschwindigkeit fortsetzt, sind wir in
weniger als vier Wochen an der regulären Kapazitätsgrenze angelangt»,

sagte er der «Rheinischen Post» (Donnerstag). «Es braucht jetzt
dringend einen harten Lockdown für zwei Wochen, verpflichtende Tests
an Schulen zweimal in der Woche und deutlich mehr Tempo bei den
Impfungen in den Zentren und Arztpraxen.»

Auf die Schnelltests ist die steigende Zahl an gemeldeten
Corona-Neuinfektionen nach RKI-Erkenntnissen kaum zurückzuführen.
Zwischen 8. und 14. März, als in Deutschland wöchentliche
Gratis-Schnelltests eingeführt wurden, ging nach der Analyse des
Bundesinstituts bei 4,4 Prozent der laborbestätigten PCR-Tests ein
positiver Schnelltest voraus. Dieser Anteil kletterte leicht auf 5,5
Prozent (15. bis 21. März) und zuletzt auf 6,0 Prozent (22. bis 28.
März).

In der vergangenen Woche gab es nach RKI-Angaben 1,40 Millionen
PCR-Tests. In der Woche zuvor waren es 1,36 Millionen. Die Rate der
positiven Tests stieg deutlich von 7,91 auf 9,33 Prozent. Das
bedeutet, dass unter den Getesteten wesentlich mehr nachweislich
Infizierte waren.