Hubschrauber, Halligpfleger und ein Arzt vom Festland Von Birgitta von Gyldenfeldt, dpa

Bei Fieber schnell den Arzt aufsuchen oder im Notfall die 112 wählen
und wenige Minuten später ist der Rettungswagen da? Geht auf den
Halligen nicht. Wie funktioniert die medizinische Versorgung auf den
kleinen Eilanden in der Nordsee?

Hooge (dpa) - Es ist sehr früh am Morgen und noch dunkel, als sich
Gerhard Steinort und sein Kollege Urs Philipzig vom Festland aus auf
den Weg nach Hooge machen. Für Steinort ist es der letzter Arbeitstag
als Halligarzt. Und der ist noch einmal knüppelvoll gepackt. Nicht
nur stehen heute die Corona-Zweitimpfungen für die Prio-1-Gruppe an,
zudem sollen auch alle anderen impfwilligen Hooger sowie Bewohner der
Hallig Gröde mitgeimpft werden. Etwa 100 Impfungen stehen auf dem
Programm. Zu schaffen ist dies nur mit enormen Organisationsaufwand,
Motivation - und außerfahrplanmäßigen Schiffsverbindungen der
«Seeadler» am frühen Morgen und späten Abend. Mehrere Stunden
gewinnen die beiden Ärzte und die beiden Halligpfleger dadurch.

Anders als auf dem Festland und auch auf den nord- und ostfriesischen
Inseln gibt es auf den Halligen keine niedergelassene Ärzte oder gar
ein Krankenhaus. Alle 14 Tage kommt daher Steinort auf die Hallig
Hooge. Ein Arzt von Föhr fährt alle zwei Wochen auf die Hallig
Langeneß. Sie bieten eine Arzt-Sprechstunde an, verschreiben
Medikamente, machen Überweisungen. Dinge, die die vor Ort anwesenden
Halligpfleger nicht machen dürfen. Diese Halligpfleger sind eine
Besonderheit, um auf den Halligen eine medizinische Grundversorgung
aufrecht zu erhalten, wie die Vorsitzende des Zweckverbandes
Daseinsvorsorge auf den Halligen, Langeneß Bürgermeisterin Hilke
Hinrichsen, sagt.

Es sei anders als beispielsweise im Krankenhaus, weil man alleine
ist, sagt Thomas Dedderich, einer der zwei Halligpfleger Hooges über
seine Arbeit. «Ich bin auf mich erst mal gestellt, die erste
Entscheidung treffe ich alleine ohne ärztliche Anordnung. Das ist das
außergewöhnliche auf den Halligen.»

Der Hubschrauber ist oftmals das Transportmittel der Wahl. Bereits
für «relative Bagatellgeschichten»,für die man auf dem Festland ein

Taxi bestellt oder maximal einen Krankenwagen zum Transport in die
Klinik holt, müsse hier der Hubschrauber angefordert werden, sagt
Steinort. Bereits mit einem verknacksten Knöchel beispielsweise könne
man nicht mehr auf die Fähre, wenn man damit keine Treppe steigen
könne.

Auch der schnelle Gang zur Apotheke wegen fehlender
Kopfschmerztabletten oder Schmerzgel fällt auf den Halligen aus.
Daher sei die große Stärke der Halligleute die Lagerwirtschaft, sagt
Hooges Bürgermeisterin Katja Just. Und die Halligpfleger haben neben
der Notfallmedikation, die auch jeder Rettungswagen hat, «natürlich
auch ein bisschen an Antibiotika da», sagt Dedderich. Bei einem
Harnwegsinfekt könne man nicht warten, bis nach drei Tagen vom
Festland das Medikament komme. «Da muss mit der Therapie sofort
angefangen werden.»

Zudem gibt es die sogenannten Halligretter, eigens ausgebildete
Ersthelfer, die im Ernstfall Hilfestellung und die erste Versorgung
sicherstellen können. Im Idealfall sollte es auf jeder bewohnten
Warft einen geben. Da die flachen Halligen mehrfach im Jahr
überflutet werden - das berühmte «Landunter» - stehen die Häuser
zum
Schutz auf diesen künstlichen Erdhügeln. Sie ragen dann aus dem
Wasser raus.

Wichtig für die Halligen ist aufgrund ihrer außergewöhnlichen Lage
und Situation auch die Möglichkeit der Telemedizin. Die nehme er etwa
für Notfälle in Anspruch, sagt Deddderich. Bei einer Fraktur nach
einem Fahrradsturz oder einem Herzinfarkt beispielsweise. Die Ärzte
am anderen Ende des Schirms geben auch durch, welche Medikamente er
verabreichen darf. So sei er rechtlich abgesichert, was sehr wichtig
sei. Und auch psychologisch hilft der Kontakt zu Ärzten via
Telemedizin: Dedderich schildert den Fall einer Hirnblutung, den er
im vergangenen Jahr erlebt hat. Eineinhalb Stunden habe er da wegen
des schlechten Wetters auf den Hubschrauber warten müssen. Da habe es
eine unheimliche Sicherheit gegeben, den Arzt «im Ohr» zu haben.

Am Anfang seien manche Bewohner etwas skeptisch gewesen, «aber
mittlerweile ist es sehr gut angenommen worden», sagt Hooges
Bürgermeisterin Katja Just zur Telemedizin. Es sei verstanden worden,
dass es der Sicherheit dient und dadurch sehr viel Zeit und unter dem
Strich auch Geld gespart werden könne. «Es ist ein für mich nicht
mehr wegdenkbares Projekt.» Ein Pilotprojekt gemeinsam mit dem
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) ist Ende 2020
ausgelaufen. Jetzt liefen Gespräche mit Kreis und Land, die
Telemedizin in die Regelversorgung mitaufzunehmen, sagt die
Zwecksverbandsvorsitzende Hinrichsen.

Steinort wird die Halligbewohner vermissen, die ihm in den
vergangenen gut sechs Jahren ans Herz gewachsen sind. Nicht vermissen
wird er die Anspannung gerade der letzten Wochen, gerade auch mit
Blick auf die Impfaktion, die durch Bürokratie, Änderungen der
Bedingungen und teils widersprüchlichen Auskünften von Seiten der
Behörden erschwert wurden, wie er sagt. So habe er wenige Tage vor
seinem letzten Arbeitstag, an dem eigentlich nur die 23
Zweitimpfungen anstanden, erfahren, dass er auch die restlichen
Hooger und die impfwilligen Gröder mitversorgen sollte. Eine
Herausforderung. Er selbst habe Wochen vorher vorgeschlagen für die
übrigen Halligbewohner einen Zusatztermin einzurichten, sagt er. Dies
sei damals abgelehnt worden. Ein entspannter letzter und erster
Arbeitstag für die Ärzte Steinort und Philipzig wird es so nicht.

Philipzig aus Bredstedt, der Steinort schon seit einigen Jahren auf
der Hallig vertritt, freut sich dennoch auf seine neue Stelle. Ende
März hat er den Praxisbetrieb an den Nagel gehängt, so ganz ohne
seinen Beruf kann er aber nicht. Da passe die Aufgabe als Halligarzt
ganz gut, findet er. Philipzig wird dieses Jahr 76, einige Jahre will
er aber noch auf Hooge praktizieren. Die «knorrigen Hooger» seien ihm
schon ans Herz gewachsen. «Es ist schon ein eigenes Völkchen. Ein
liebenswertes.»