Neue Astrazeneca-Vorgaben: Debatte über Folgen für Impfkampagne

Die Planungen für die Corona-Impfungen müssen erneut nachgesteuert
werden. Denn das Mittel von Astrazeneca kann nicht mehr so breit zum
Einsatz kommen. Lässt sich der Rückschlag trotzdem rasch ausbügeln?

Berlin (dpa) - Nach der neuen Altersbeschränkung für das Präparat von

Astrazeneca auf über 60-Jährige rücken die Konsequenzen für die
gesamten Corona-Impfungen in Deutschland in den Blick. Der Deutsche
Lehrerverband sprach von einem «katastrophalen Rückschlag für die
gerade Fahrt aufnehmende Impfung von Lehrkräften» und forderte eine
Umstellung auf andere Präparate. In den Ländern sind teils Änderungen

bei Liefer- und Terminplanungen nötig. Gesundheitspolitiker der
Koalition äußerten sich zuversichtlich für die weitere Impfkampagne.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) kündigte für kommende Woche

erneute Beratungen über die Sicherheit des Astrazeneca-Mittels an.

Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger verlangte eine rasche
Möglichkeit für unter 60-jährige Lehrkräfte, sich mit Biontech/Pfiz
er
und demnächst mit Johnson & Johnson impfen lassen zu können. «Wenn
dieser Austausch nicht sofort stattfindet, wird es mit der
Durchimpfung von Lehrkräften im April nichts mehr werden», sagte er
der Deutschen Presse-Agentur. Dies gefährdete sonst zusätzlich zu
steigenden Infektionszahlen die Chancen, Schulen offen zu halten.
Momentan sind in den meisten Bundesländern Osterferien. Viele Schulen
sollen in der Woche nach Ostern oder eine Woche später wieder öffnen.

Bund und Länder hatten am Dienstagabend nach einer Empfehlung der
Ständigen Impfkommission (Stiko) beschlossen, Astrazeneca in der
Regel nur noch für Menschen ab 60 Jahre einzusetzen. Jüngere sollen
sich «nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse
nach sorgfältiger Aufklärung» weiterhin damit impfen lassen können.

Hintergrund sind Fälle von Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen.
Erst Mitte März waren Astrazeneca-Impfungen nach einer einige Tage
langen Impfpause und neuen Überprüfungen wieder angelaufen.

Die Bundesregierung bat die Bürger um Verständnis, dass nun zunächst

einige Umorganisationen erforderlich seien. So müssten Lieferungen an
Impfzentren und dann auch Arztpraxen für die Zeit nach Ostern neu
austariert werden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Die Länder können nun auch entscheiden, ob sie schon jetzt 60- bis
69-Jährige zu Impfungen mit Astrazeneca einladen. «Dies gibt die
Möglichkeit, diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große
Altersgruppe angesichts der wachsenden 3. Welle nun schneller zu
impfen», heißt es dazu im Beschluss der Gesundheitsminister von Bund
und Ländern. Derzeit laufen generell Impfungen in den ersten beiden
Prioritätsgruppen, zu denen - bezogen auf das Lebensalter - Menschen
ab 70 Jahre gehören.

In Nordrhein-Westfalen können Menschen ab 60 von diesem Samstag an
Termine für Impfungen mit Astrazeneca buchen, wie Gesundheitsminister
Karl-Josef Laumann (CDU) ankündigte. Niedersachsen befürchtet keinen
Impfstau nach der neuen Astrazeneca-Empfehlung. «Da sehen wir aktuell
kein Problem, den Impfstoff verimpft zu bekommen», erklärte das
Sozialministerium. In den Impfzentren müssten aber einige Termine
umgebucht werden, an einzelnen Stellen könne es etwas ruckeln.

Die CDU-Gesundheitspolitikerin Karin Maag nannte die neuen Vorgaben
eine «angemessene Reaktion» auf die Auffälligkeiten. «Auf dieser
Grundlage kann die Impfkampagne gut und sicher weitergeführt werden.»
Der SPD-Experte Karl Lauterbach sagte am Dienstagabend in der
ARD: «Wir werden eine kleine Delle haben von ein paar Tagen, wo es
Verwirrung gibt, aber dann wird das Impftempo wieder voll anziehen.»
Generell überwiege bei über 60-Jährigen der Nutzen mögliche Risiken
.
«Es ist ein sehr guter Impfstoff, den ich weiter empfehlen kann.»

Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens sagte den Zeitungen der Funke
Mediengruppe, die Kontrollfunktion des Paul-Ehrlich-Instituts habe
gut funktioniert. «Sie haben mehr als 30 besorgniserregende Fälle
registriert, es wurde intensiv geprüft und Alarm geschlagen, und
jetzt reagiert man darauf. Das sollte eigentlich vertrauensbildend
sein.» Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery,
sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Entscheidung sei klug
gewesen. «Insgesamt ist das Hin und Her um den Impfstoff gleichwohl
ein Kommunikationsdebakel.»

Bei der EU-Arzneimittelbehörde EMA ist eine Expertengruppe am Montag
bereits zusammenkommen. Über ihren Bericht und weitere Analysen soll
beim Treffen des Sicherheitsausschusses der EMA vom 6. bis 9. April
beraten werden. Dann werde auch eine Aktualisierung der Empfehlung
erwartet, wie die EMA auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur
mitteilte. Der Sicherheitsausschuss der EMA hatte zuletzt bekräftigt,
dass der Impfstoff «sicher und wirksam» sei, und es keine Hinweise
auf ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel gebe. Die EMA betonte
zugleich, dass Experten weiterhin Fälle von Thrombosen prüfen würden.


Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte am Dienstagabend das Ziel,
bis zum Ende des Sommers allen Bürgern ein Impfangebot zu machen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einem «Rückschlag»,

rief aber zugleich alle 60-Jährigen auf, «dieses Impfangebot auch
wahrzunehmen». Der Impfstoff sei sehr wirksam, gerade bei Älteren.
Der Vorsitzende der Länder-Gesundheitsminister, Klaus Holeteschek
(CSU) aus Bayern, sagte: «Die positive Botschaft ist: Der Impfstoff
von Astrazeneca soll für die Menschen weiter verimpft werden, die das
60. Lebensjahr vollendet haben.» Zugleich bleibe Vorsicht geboten.