Jüngster Verschwörungs-Hype: Morgellonen am Corona-Teststäbchen Von Arne Beckmann, dpa

Scheinbar zappeln wurmartige Gebilde über Corona-Teststäbchen. Die
Verschwörungsgemeinde ist sich sicher: Das sind Morgellonen, die sich
unter der Haut einnisten können. Doch es ist natürlich ganz anders.

Berlin (dpa) - Als wichtige Waffen im Kampf gegen die Ausbreitung des
Coronavirus gelten medizinische Masken und Antigen-Schnelltests. Wer
sie nutzt, fühlt sich in der Regel besser geschützt gegen die
unsichtbaren Erreger. Doch jetzt sorgt ein neuer Mythos für Wirbel:
Sind Masken und Tests etwa verunreinigt oder gar verseucht? Unter
Verschwörungserzählern erlebt gerade ein ungewöhnlicher Begriff
seinen Höhenflug: Morgellonen.

BEHAUPTUNG: Über Corona-Teststäbchen und Atemmasken gelangen
parasitäre Morgellonen in den Körper.

BEWERTUNG: Falsch.

FAKTEN: Es juckt und kribbelt bei den Betroffenen, die über
Morgellonen klagen. Dabei soll es sich angeblich um kleine Lebewesen
handeln, die sich unter der Haut einnisten. Mediziner tun das
Phänomen oft als Wahnvorstellung ab - als eine Variante des
sogenannten Dermatozosenwahns, bei dem sich die Patienten einbilden,
ihre Haut sei von Parasiten befallen. Begünstigt wird der Irrglaube
beispielsweise durch Kokain- und Amphetaminmissbrauch aber auch durch
Hirnverletzungen und Erkrankungen des zentralen Nervensystems.

Wer über Morgellonen klagt, liefert oft selbst das vermeintliche
Beweismaterial. Durch Drücken und Kratzen kommen auf der Haut der
Betroffenen Gebilde hervor, die unter dem Mikroskop wie kleine
Lebewesen aussehen. Manchmal bewegen sie sich sogar - scheinbar aus
eigener Kraft.

Dieser Trugschluss ist leicht zu erklären, sagt Kriminalbiologe Mark
Benecke. In seinem Labor hat er schon unzählige Proben untersucht von
Menschen, die Morgellonen unter ihrer Haut gefunden haben wollen.
Unter seinem Mikroskop sieht er in der Regel lediglich eine Mischung
aus Textilfasern, kleinen Pflanzenteilen, Dreck, Staub und
Hautschuppen - die durch Drücken und Kratzen zusammengerollt wurden.
Dass ein ungeschultes Auge hier ein Lebewesen erkennt, findet Benecke
nachvollziehbar: «Die verdrillte Faser kann auch schon mal ähnlich
aussehen wie beispielsweise winzige Muskeln», sagt er der Deutschen
Presse-Agentur.

Auch dass sich die wurmartigen Gebilde manchmal scheinbar von alleine
bewegen, kann Benecke erklären. Das passiert in der Regel dann, wenn
man nah rangeht an das untersuchte Objekt: «Wenn man auf die Fasern
draufhaucht, nehmen sie die Feuchtigkeit und Wärme aus der Atemluft
auf und bewegen sich dann. Auch elektrostatische Anziehungskräfte
können für diesen Effekt sorgen.» Letzteres kann nachempfinden, wer
einen Luftballon ein seinen Haaren reibt.

Aktuell legt eine ganze Reihe von Menschen FFP2-Masken oder
Corona-Teststäbchen unters heimische Mikroskop - um herauszufinden,
ob sie befallen sind. Sie haben offenbar selbst in sozialen Medien
Videos und Bilder gesehen von Nutzern, die Morgellonen entdeckt haben
wollen. Und wer suchet, der findet: In den Clips sind teils scheinbar
krabbelnde, wurmartige Gebilde sogar unter der Verpackungsfolie von
FFP2-Masken zu erkennen.

Höchstwahrscheinlich handelt es sich auch dabei um Textilfasern, die
bei der Produktion bereits in die Packung gelangt sind, sagt Benecke.
Masken wie Teststäbchen werden nämlich nicht in steriler Umgebung
hergestellt. Und selbst bei der Sterilisation werden zwar etliche
Keime abgetötet, aber keine ungewollten Textilfasern beseitigt.

Was auf den Videos und Bildern über Masken und Teststäbchen zappelt,
sind also ziemlich sicher keine parasitären Morgellonen. Auch keine
«Nano-Roboter», die uns heimlich implantiert werden sollen, wie in
noch abstruseren Verschwörungsmythen vermutet wird.

Wer dennoch glaubt, auf seiner Maske oder auf seinem Teststäbchen
etwas Ungewöhnliches gefunden zu haben, kann eine Probe im Labor
untersuchen lassen. Einfach das vermeintliche Lebewesen mit einem
durchsichtigen Klebeband auf einer Klarsichtfolie sichern, die
Fundstelle einkreisen und per Post verschicken.

Bis zur Bestätigung aus dem Labor sollte man seine These vielleicht
noch zurückhalten - zumindest, wenn man keine Falschinformationen
sowie Angst und Schrecken verbreiten möchte.