Krisentreffen zu Astrazeneca-Impfstoff - Weiter Ringen um Corona-Kurs

Erneut stockt die Impfkampagne in Deutschland - und erneut geht es um
das Vakzin von Astrazeneca. Die Kanzlerin schaltet sich sein. Auch
ihre Auseinandersetzung mit den Ländern zum Lockdown-Kurs ist noch
nicht ausgestanden.

Berlin (dpa) - Während Bund und Länder weiter um ihren Corona-Kurs
ringen, drohen erneut deutliche Verzögerungen beim Impfen. Mehrere
Bundesländer setzten am Dienstag wieder Impfungen mit dem Wirkstoff
von Astrazeneca aus - diesmal für die Jüngeren. Am Abend wollten
Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide
CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder über den weiteren Umgang

mit dem Astrazeneca-Impfstoff beraten. Zuvor bereits deutete sich
eine geänderte Altersempfehlung der Ständigen Impfkommission an.

Das Präparat soll voraussichtlich nur noch für Menschen über 60 Jahre

empfohlen werden. Das geht aus einem Beschlussentwurf der Ständigen
Impfkommission (Stiko) hervor, der der Deutschen Presse-Agentur
vorliegt. Auch die «Augsburger Allgemeine» berichtete darüber.
Allerdings könnte der Einsatz auch bei Jüngeren «nach ärztlichem
Ermessen und bei individueller Risikoakzeptanz nach sorgfältiger
Aufklärung möglich» bleiben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlug vor, die
Impfreihenfolge für dieses Vakzin komplett aufzulösen. «Irgendwann
wird man bei Astrazeneca speziell mit sehr viel Freiheit operieren
müssen und sagen müssen: Wer will, und wer es sich traut quasi, der
soll auch die Möglichkeit haben», sagte er.

Hintergrund der Diskussionen sind Hirnvenenthrombosen, die zuletzt im
zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen aufgetreten waren, vorwiegend
bei Frauen unter 55. Die Länder Berlin und Brandenburg, die Stadt
München und der Kreis Heinsberg in NRW setzten deshalb Impfungen mit
Astrazeneca für bestimmte Bevölkerungsgruppen aus - einige für alle
unter 60 Jahren, andere nur für jüngere Frauen. Berlins
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nannte den vorläufigen Stopp
eine «Vorsichtsmaßnahme».

In Deutschland sind laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bislang 31 Fälle
einer Sinusvenenthrombose nach Impfung mit dem Impfstoff von
Astrazeneca bekannt. In neun Fällen war der Ausgang tödlich, wie das
für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Institut berichtete.

Der möglichen Impfstopp mit dem Präparat von Astrazeneca
beeinträchtigt eine wichtige Säule im Kampf gegen die Pandemie. Seit
einiger Zeit steigen die Infektionszahlen in Deutschland wieder
deutlich. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag nach Angaben des Robert
Koch-Instituts (RKI) von Dienstagmorgen bei 135,2. Am Vortag hatte
das RKI noch 134,4 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und sieben
Tagen gemeldet. Ähnlich hoch waren die Werte zuletzt Mitte Januar.

Merkel hatte die Bundesländer deswegen mit Nachdruck an die
vereinbarte Corona-Notbremse erinnert und angedeutet, notfalls könne
auch der Bund einschreiten. Eine solche Möglichkeit untermauert ein
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das der
Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Demnach kann der Bund den Ländern über das Infektionsschutzrecht
Vorschriften zur Bekämpfung der Corona-Pandemie machen, die diese
dann genau umzusetzen hätten. Der Bund könnte zum Beispiel vorgeben,
welche konkreten Maßnahmen im Falle der Überschreitung eines
bestimmten Inzidenzwertes in einem Gebiet - etwa in einem Landkreis -
ergriffen werden müssen. Er kann auch Maßnahmen zum Infektionsschutz
in Schulen anordnen, obwohl Schulen laut Grundgesetz Ländersache
sind.

Eine gesetzliche Regelung kann nach Einschätzung von Innenminister
Horst Seehofer allerdings nicht an den Ländern vorbei beschlossen
werden. «Wir schätzen es so ein, dass so ein Gesetz mit höchster
Wahrscheinlichkeit zustimmungspflichtig wäre im Bundesrat», sagte der
CSU-Politiker. Er persönlich fände es aber richtig, wenn bundesweit
einheitlich reagiert werde.

Söder forderte, dass in Hotspots dringend die vereinbarte Notbremse
auch mit Ausgangsbeschränkungen bereits über Ostern gelten müsse. Er

sei sich nicht sicher, ob jeder wirklich den Ernst der Lage
verstanden habe, sagte der CSU-Chef. Er mahnte, angesichts der Zahlen
sei jetzt nicht die Zeit für Streit zwischen Bund und Ländern sowie
für Eifersüchteleien um Kompetenzen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff rief Merkel auf,
die Corona-Politik soweit möglich aus dem Kanzleramt zu steuern. «Ich
hab der Kanzlerin Mut gemacht, das, was sie schon kann, offensiv zu
machen», sagte er. «Wenn der Bund alle Optionen, die er hat, ziehen
würde, hätten wir keine Diskussion.»

Gut zwei Drittel der Deutschen wünschen sich ebenfalls, dass Merkel
im Kampf gegen die Pandemie eine aktivere Rolle bekommt. In einer
Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der
«Augsburger Allgemeinen» waren 67 Prozent der Befragten der Meinung,
die Kanzlerin sollte stärker in die Corona-Politik der Länder
eingreifen dürfen.

Die Kanzlerin hatte kritisiert, dass mehrere Länder derzeit statt
strengerer Regeln sogar Modellprojekte mit Lockerungen planen.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte den Stopp des
Modellprojekts in Tübingen. Die Stadt in Baden-Württemberg testet
derzeit, ob mehr Öffnungsschritte mit möglichst flächendeckendem
Testen umsetzbar sind. «Sie geben das falsche Signal», schrieb
Lauterbach auf Twitter. Das Tübinger Projekt zeige, dass
unsystematisches Testen mit Öffnungsstrategien die schwere dritte
Corona-Welle nicht aufhalten werde. ««Testen statt Lockdown» ist
Wunschdenken, genau wie «Abnehmen durch Essen»», schrieb der
SPD-Politiker.