«Teilweise Überbelegungen» - Angespannte Lage im Maßregelvollzug

Immer häufiger ordnen Richter bei der Verurteilung von alkohol- und
drogenabhängigen Straftätern eine Unterbringung in einer Suchtklinik
an. Das Land will den Maßregelvollzug ausbauen - aber geht das
schnell genug?

Hannover (dpa) - Im niedersächsischen Maßregelvollzug sind die Betten
knapp - derzeit warten rund 200 verurteilte suchtkranke und psychisch
kranke Straftäter auf einen Platz. «Die Aufnahme- und
Unterbringungskapazitäten sind angespannt, auch gibt es teilweise
Überbelegungen», sagte eine Sprecherin des Sozialministeriums in
Hannover. Hintergrund sei, dass Gerichte immer häufiger eine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Paragraf 64
Strafgesetzbuch anordneten. Dies kommt in Frage, wenn eine Tat unter
Alkohol- oder Drogeneinfluss begangen wurde oder beim Täter eine
Suchterkrankung vorliegt und er therapiefähig ist.

«Der Aufnahmedruck im Maßregelvollzug betrifft alle Bundesländer und

stellt alle Einrichtungen vor Probleme», sagte die Sprecherin. Zudem
habe die Corona-Pandemie zu einem Rückstau an Aufnahmen geführt. Am
26. März waren 198 Verurteilte auf der Warteliste, davon 121 auf
freiem Fuß. Im Juli 2020 warteten 120 Straftäter auf ihre
Klinikaufnahme, davon waren 101 auf freiem Fuß, wie aus einer Kleinen
Anfrage der FDP-Landtagsfraktion hervorging. Gegen 58 von ihnen
liefen laut Justizministerium Ermittlungsverfahren. Häufig seien
Drogenabhängige betroffen, die etwa mit Einbrüchen ihre Sucht
finanzierten. Sexualstraftäter seien nicht auf freiem Fuß.

In Niedersachsen gibt es aktuell 1231 Plätze im Maßregelvollzug. In
den Kliniken werden vor allem suchtkranke Straftäter therapiert. Der
größte Standort ist Moringen mit 408 Plätzen. In den vergangenen
Jahren sind nach Angaben des Sozialministeriums 38 neue Plätze im
Hochsicherheitsbereich in Göttingen geschaffen worden, der zu
Moringen gehört. Zudem entstanden 24 Plätze in der Jugendforensik der
Karl-Jaspers-Klinik in Wehnen (Landkreis Ammerland). Das Land arbeite
daran, die Zahl der Plätze deutlich zu erhöhen, hieß es.

Das sieht die FDP anders. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die
Landesregierung so wenig gegen den seit Jahren wachsenden Mangel an
Unterbringungsplätzen im Maßregelvollzug unternehme, sagte die
sozialpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Susanne Schütz.
Die Fraktion fordere seit langem, den Bestand an leerstehenden
Landesliegenschaften auf kurzfristige Unterbringungsmöglichkeiten zu
prüfen, auch private Kliniken oder die Unterbringung in anderen
Bundesländern kämen in Frage. «Für einige Täter kann auch eine
ambulante Therapie in Verbindung mit engmaschigen Meldepflichten
ausreichend sein», meinte Schütz. Es sei nicht hinnehmbar, dass
Verurteilte in der Wartezeit teils schwere Straftaten begingen.