Spahn für «10, 14 Tage mindestens richtiges Runterfahren»

Die Coronavirus-Infektionen haben zuletzt wieder deutlich zugelegt.
Die britische Mutation des Virus verbreitet sich rasch in
Deutschland. Gesundheitsminister Spahn mahnt eindringlich zu Vorsicht
und Abstand.

Berlin (dpa) - Angesichts schnell steigender
Coronavirus-Infektionszahlen plädiert Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn für einen erneuten Lockdown. «Wenn wir die Zahlen nehmen, auch
die Entwicklungen heute, brauchen wir eigentlich noch mal 10, 14 Tage
mindestens richtiges Runterfahren unserer Kontakte, unserer
Mobilität», sagte der CDU-Politiker am Samstag bei einer
Online-Diskussionsveranstaltung der Bundesregierung, bei der
Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen konnten. Er appellierte an die
Bürgerinnen und Bürger, «im Zweifel auch mehr als die staatlichen
Regeln» umzusetzen.

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Samstagmorgen eine
Sieben-Tage-Inzidenz von 124,9. Damit ist der Wert so hoch wie seit
dem 19. Januar (131,5) nicht mehr. Am Freitag hatte das RKI die
Inzidenz noch mit 119,1 angegeben, vor zwei Wochen lag sie bei 76,1.
Die Sieben-Tage-Inzidenz gibt die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner und Woche an und ist eine wichtige Kennzahl zum
Pandemieverlauf. Zudem meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland
dem RKI im Laufe des Freitags 20 472 neue Corona-Infektionen. Darüber
hinaus wurden innerhalb von 24 Stunden 157 neue Todesfälle
verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages
16 033 Neuinfektionen und 207 neue Todesfälle verzeichnet.

Wenn es gelinge, die dritte Welle zu brechen, dann gebe es danach
auch die Aussicht auf Öffnungsschritte in Regionen mit niedrigen
Infektionszahlen, sagte Spahn. Mehr Tests und Impfungen sollen auch
helfen. Im April und Mai solle es mehr Impfungen geben als im
gesamten ersten Quartal. Er rechne damit, dass Ende April/Anfang Mail
in 80 000 bis 100 000 Arztpraxen Coronavirus-Impfungen verabreicht
werden.

Auch Christian Karagiannidis, Präsident der
Intensivmediziner-Gesellschaft DGIIN, forderte angesichts der stark
steigenden Infektionszahlen einen harten zweiwöchigen Lockdown und
sofortigen Stopp aller geplanten Öffnungsschritte. «Die Beschlüsse
für Modellprojekte nach Ostern sind völlig unpassend und müssen von
Bund und Ländern sofort zurückgenommen werden», sagte Karagiannidis,

der auch wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters ist,
der «Rheinischen Post» (Samstag).

Trotz der seit längerem steigenden Zahlen hatten Bund und Länder auf
der Ministerpräsidentenkonferenz zu Beginn der Woche beschlossen,
dass die Länder in «ausgewählten Regionen» in «zeitlich befristet
en
Modellprojekten» einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens testweise
öffnen dürfen, «mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept
».
Mehrere Länder haben angekündigt, gleich mehrere Modellregionen
entsprechend zu öffnen. Das Saarland will nach Ostern sogar das ganze
Land öffnen - bisher auch ohne eine Befristung.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte angesichts stark
steigender Neuinfektionszahlen zeitnah erneute Corona-Beratungen.
«Wir müssen rasch nochmal neu verhandeln», sagte Lauterbach dem
«Tagesspiegel» (Samstag). «Ohne einen scharfen Lockdown wird es nicht

gehen», betonte er und verteidigte seine Forderung nach bundesweiten
Ausgangssperren. «Ausgangsbeschränkungen ab 20 Uhr für zwei Wochen
würden wirken - wir haben es in Frankreich, Großbritannien und
Portugal gesehen.»

Aus Sicht der Linken-Co-Vorsitzenden Janine Wissler muss die
Arbeitswelt stärker in die Anti-Corona-Maßnahmen einbezogen werden.
«Im Moment ist es so, dass die Betriebsbeschränkungen am Betriebstor
enden, aber die Corona-Infektionen enden nicht am Betriebstor», sagte
Wissler im «Interview der Woche» des Deutschlandfunks. «Wir haben
viele Menschen in diesem Land, die ganz normal zur Arbeit gehen, die
jeden Tag in Großraumbüros fahren, in Call-Zentren, in
Fertigungshallen. Und dort finden Infektionen statt.» Busse und
Bahnen seien voll.

«Ich finde, wenn die Zahlen weiter so in die Höhe gehen, dann muss
man auch darüber reden, dass nicht dringend notwendige Produktion ein
paar Tage stillgelegt werden muss, um einfach die Infektionsketten zu
brechen», sagte Wissler. Wenn man die Zahlen nicht runter bekomme und
in eine Dauerschleife gerate, dann sei das auch wirtschaftlich
kurzfristig gedacht.

Inzwischen sprechen sich auch wieder mehr Menschen für eine
Verschärfung als eine Lockerung der Maßnahmen aus, wie das
ZDF-Politbarometer ergab. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) will sie
verschärfen, knapp ein Drittel (31 Prozent) beibehalten und ein
Viertel (26 Prozent) lockern.