EU-Sondergipfel berät über Corona-Impfungen und Grenzstreit

Das Impfen in der EU geht nur schleppend voran. Und nun gibt es auch
noch Zoff wegen der jüngsten Grenzkontrollen von Deutschland und
anderen. Allein das bietet genügend Stoff für einen intensiven
EU-Gipfel. Und dann sind da noch die gefürchteten Virusvarianten.

Brüssel (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen
beraten heute bei einem Videogipfel, wie die Corona-Impfungen
beschleunigt und die gefürchteten Virusvarianten bekämpft werden
können. Thema soll auch der Streit über verschärfte Grenzkontrollen
sein sowie die Debatte über einen EU-einheitlichen Corona-Impfpass,
der letztlich Vorteile wie freies Reisen für Geimpfte bringen könnte.

Doch geht das Impfen gegen das Coronavirus in der Europäischen Union
langsamer voran als etwa in Großbritannien, den USA oder Israel. Ein
Grund ist Impfstoffmangel. Nun wollen die EU-Staaten unter anderem
über eine schnellere Zulassung der Mittel in der EU beraten. Die
Produktion und die Lieferungen sollen gesteigert werden. Von den
Herstellern erwarte man die Erfüllung von Zusagen, schrieb Ratschef
Charles Michel in seinem Einladungsbrief zum Gipfel.

Darin kündigte der Belgier zudem an, dass auch der Streit über die
verschärften Grenzkontrollen von Deutschland und anderen Staaten
diskutiert werden soll. Eigentlich hatten sich die EU-Staaten vor
einigen Wochen auf Empfehlungen für ein einheitliches Vorgehen an den
Grenzen geeinigt. Deutschland geht jedoch darüber hinaus und hat die
Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien, der Slowakei und Österreich
verschärft. Bei der EU-Kommission stößt das auf deutliche Kritik. Die

Brüsseler Behörde befürchtet, dass Pendler und wichtige Waren an den

Grenzen aufgehalten werden und der Binnenmarkt leidet.

In der Debatte über einen gemeinsamen Impfpass dürfte es kaum
Fortschritt geben. Zwar machen Länder wie Griechenland und Zypern
Druck, denn ihre Wirtschaft ist besonders auf Touristen angewiesen.

Auch Österreich fordert rasches Handeln, um die Wirtschaft nach der
Pandemie anzukurbeln, wie Europaministerin Karoline Edtstadler der
«Welt» (Donnerstag) sagte. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz
plädierte für einen europäischen Impfpass nach dem Vorbild Israels.
«Ich setze mich dafür ein, dass wir in Europa einen grünen Pass
zusammenbringen, wie es ihn in Israel gibt, am besten digital am
Handy, wo jeder wieder alle Freiheit zurückbekommt, die wir so sehr
schätzen», sagte Kurz am Mittwochabend auf «Bild live».

In Israel können seit Sonntag von einer Corona-Infektion genesene und
gegen das Virus geimpfte Menschen mit dem «Grünen Pass» unter anderem

wieder Fitnessstudios, Theater und Sportereignisse besuchen sowie in
Hotels übernachten.

Deutschland, Frankreich und andere stehen beim Thema Impfpass jedoch
auf der Bremse. Sie argumentieren, dass ungeklärt sei, ob Geimpfte
das Virus weitergeben. Und sie fürchten eine Impfpflicht durch die
Hintertür.

FDP-Europapolitikerin Nicola Beer fordert jetzt schon «eine
zielgerichtete Debatte über Konzept und Funktion des europäischen
Impfzertifikats», wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagte. Wenn
das Impfen die Ansteckung anderer verhindere, müsse von massiven
individuellen Einschränkungen abgesehen werden. «Jetzt ist der
Moment, einen europäisch abgestimmten Stufenplan für eine
EU-Öffnungsstrategie zu skizzieren», sagte Beer. Dazu gehörten «kla
r
vereinbarte, EU-weit passgenaue Wenn-Dann-Regeln statt
Pauschalverbote».

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner kritisierte die
deutsche Linie bei den Grenzkontrollen. «Die Bundesregierung muss
endlich aufhören mit nationalen Alleingängen und europäisch handeln
»,
sagte die Europaexpertin. Wichtig seien gemeinsame Kriterien und
Abläufe bei Grenzkontrollen sowie praktikable Lösungen für Pendler
und Familien auf beiden Seiten.

Die EU-Staats- und Regierungschefs sprechen etwa einmal im Monat über
die Zusammenarbeit in der Corona-Krise. Für Freitag ist eine weitere
Gipfel-Videokonferenz zu außen- und sicherheitspolitischen Themen
angesetzt.