Keine blauen Briefe im Corona-Jahr - Freiwilliges Sitzenbleiben

Im zweiten Corona-Schuljahr gibt es gute und schlechte Nachrichten
für die Schüler: Im Briefkasten werden keine blauen Briefe liegen.
Aber aus dem Schneider sind die Schwächeren damit nicht.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Schüler in Nordrhein-Westfalen müssen am Ende

dieses zweiten Corona-Schuljahres keine «blauen Briefe» fürchten. Es

würden keine Schreiben zu gefährdeten Versetzungen verschickt, sagte
Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Mittwoch. Anders als im
vergangenen Schuljahr können leistungsschwache Schüler aber trotzdem
sitzenbleiben. Es werde am Ende des Schuljahres
«Versetzungsentscheidungen» geben, sagte die Ministerin. Zugleich
würden aber erweiterte Nachprüfungsmöglichkeiten geschaffen. Schüle
r
könnten eine Klasse auch freiwillig wiederholen, ohne dass das auf
die maximal zugelassene Verweildauer an der Schule angerechnet werde.

Die Maßnahmen sind im Bildungssicherungsgesetz 2021 enthalten, das
vom Kabinett beschlossen wurde und nun in die Verbändeanhörung geht.
Mit dem Gesetz sollen laut Gebauer «faire und gerechte Bedingungen in
Pandemie-Zeiten» ermöglicht werden. Den Schülerinnen und Schülern
sollten auch in diesem Jahr durch die Pandemie keine Nachteile für
ihre Bildungs- und Berufswege entstehen.

Am Ende der Erprobungsstufe nach Klasse 6 sollen dieses Jahr nach
Beratung durch die Schule ausnahmsweise die Eltern entscheiden
können, ob ihr Kind eine Ehrenrunde dreht oder die Schulform
wechselt. Die Klassenkonferenz soll trotzdem eine Aussage dazu
treffen, ob ein Schüler an der gewählten Schulform bleiben kann.

Für die zentralen Prüfungen in Klasse 10 (ZP 10) in den Fächern
Deutsch, Mathematik und Englisch an Haupt-, Real-, Sekundar- und
Gesamtschulen werden in diesem Schuljahr wieder landeseinheitliche
Aufgaben gestellt. Die Rückkehr in den Präsenzunterricht für die
Abschlussklassen seit einigen Tagen ermögliche «eine angemessene
Prüfungsvorbereitung», sagte Gebauer. Die Prüfungen beginnen ab dem
19. Mai.

Vergangenes Jahr war auf zentrale ZP 10-Prüfungen verzichtet worden.
Stattdessen hatten Lehrkräfte Klassenarbeiten schreiben lassen. An
den Gymnasien jedoch wird es wie schon vergangenes Jahr am Ende der
zehnten Klasse erneut keine zentralen schriftlichen Prüfungen geben.

Bereits beschlossen hatte die Landesregierung, dass die
Abiturprüfungen in NRW um neun Tage vom 14. April auf den 23. April
verschoben werden und die Aufgabenauswahl erweitert wird. In diesem
Zeitraum findet für die Prüflinge kein regulärer Unterricht statt.
Außerdem gibt es Nachschreibetermine für Schüler, die an drei
unmittelbar aufeinander folgenden Tagen einer Kalenderwoche Klausuren
schreiben müssen. Die externe Zweitkorrektur entfällt wie auch
vergangenes Jahr. Es gibt aber eine interne Zweitkorrektur.

Die NRW-Maßnahmen entsprechen laut Gebauer den Beschlüssen der
Kulturministerkonferenz (KMK). Alle Bundesländer hatten sich darauf
verständigt, Abschlüsse auch in diesem Corona-Jahr auf Basis von
Prüfungen zu vergeben. Es sei wichtig zu erkennen, ob Leistungen
erbracht worden seien oder nicht, sagte Gebauer. Ihr Staatssekretär
Mathias Richter sagte, es habe genug Präsenzunterricht gegeben, so
dass Leistungen entsprechend bewertet werden könnten.

Nach wochenlangen Schulschließungen in NRW im Corona-Lockdown dürfen
seit Montag Grund- und Förderschüler sowie Schüler aus
Abschlussklassen und Berufskollegs in NRW unter verschärften
Schutzvorkehrungen wieder am Präsenzunterricht teilnehmen. Für die
Primarstufe gibt es Wechselmodelle aus Distanz- und Präsenzunterricht
in halbierter Klassenstärke. Die Abschlussjahrgänge dürfen hingegen
in voller Klassen- oder Kursstärke unterrichtet werden. Die Klassen 5
bis 9 oder 10 sind weiter im Distanzunterricht.

Die Landeselternschaft der Gymnasien forderte täglichen
Präsenzunterricht für alle Klassen in NRW. Mit einer Reduzierung der
Unterrichtsstunden sowie Verteilung auf Vor- und Nachmittage wäre das
möglich, sagte die Verbandsvorsitzende Jutta Löchner. Trotz der
coronabedingten Probleme spricht sich auch die Elternschaft dagegen
aus, die Schüler - wie im Vorjahr - wieder automatisch zu versetzen.

Eine aktuelle Umfrage habe dennoch alarmierenden Handlungsbedarf
zutage gefördert: Demnach erwarten mehr als 40 Prozent der über
41 000 Eltern, die geantwortet haben, mittelgroße bis schwerwiegende
Wissenslücken durch den eingeschränkten Unterricht in der
Corona-Pandemie.

Unter den 224 Gymnasialdirektoren, die im Januar ebenfalls an einer
Befragung der Elternschaft teilgenommen hatten, sieht nur eine
Minderheit keine coronabedingten Lernlücken. 22 Prozent der
Direktoren sehen sich nicht in der Lage, Schüler und Eltern am Ende
der 6. Klasse zuverlässig über einen angemessenen Schulwechsel zu
beraten. Die Landeselternschaft fordert daher, die Erprobungsstufe
bis auf weiteres auf Klasse 7 auszudehnen. Jeder zehnte Schulleiter
sieht die Aussagekraft der Abiturzeugnisse 2021 kritisch.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Jochen
Ott, kritisierte, mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf sei die
Ministerin «mal wieder viel zu spät». Die Regelungen seien zudem
unzureichend. «Wir plädieren dafür, dass die Abiturientinnen und
Abiturienten in diesem Jahr die Möglichkeit für einen Freischuss
haben sollen, um ihnen die Sorgen und den Stress vor den anstehenden
Prüfungen zu nehmen.» Die aktuelle Situation sei schon belastend
genug.