Olympisches Risiko: Bei Tokio-Absage drohen Milliarden-Einbußen Von Christian Hollmann, dpa

Die Ungewissheit um die Sommerspiele in Tokio hält an. Noch immer ist
nicht ausgeschlossen, dass Olympia in Japan wegen Corona abgesagt
werden muss. Welche Folgen hätte das für den Geldbeutel der
Gastgeber, der Sportverbände und der Athleten?

Tokio (dpa) - Die Rückendeckung der Chefs der sieben großen
Wirtschaftsmächte um Kanzlerin Angela Merkel kam den Olympia-Machern
von Tokio gerade recht. «Das wird uns antreiben, unsere Bemühungen
noch zu verstärken», sagte Thomas Bach, Präsident des Internationalen

Olympischen Komitees, nachdem die G7-Führer ihre Unterstützung bei
der Rettung der Sommerspiele in Japan zugesichert hatten. Diese
sollen als «Symbol der globalen Einigkeit bei der Bewältigung von
Covid-19» dienen, erklärten die Staats- und Regierungschefs. Bei
allen hehren Worten steckt dahinter wohl auch der dringende Wunsch,
das Milliarden-Spektakel Olympia zu bewahren. Droht doch im Falle
einer Komplett-Absage ein enormer finanzieller Schaden.

Was kosten die Tokio-Spiele überhaupt?

Die Olympia-Macher rechnen offiziell mit Ausgaben von rund 12,66
Milliarden Euro, das wäre mehr als eine Verdopplung gegenüber den
Plänen bei der Vergabe der Spiele 2013. Die Verschiebung um ein Jahr
und die Kosten für die Corona-Maßnahmen allein treiben das Budget um
mindestens 2,3 Milliarden Euro in die Höhe. Laut einer Studie der
britischen Universität Oxford sind die Spiele in Tokio schon jetzt
die teuersten in der Geschichte der Sommerspiele. Das IOC weist diese
Berechnung zurück, weil zum Beispiel staatliche Ausgaben für die
Infrastruktur nicht allein den Spielen zugute kommen.

Was würde eine Absage finanziell für die Gastgeber bedeuten?

Ein Großteil des Geldes für die Arenen, vorbereitende Arbeiten und
Werbemaßnahmen ist bereits ausgegeben. Der Löwenanteil der Kosten
kommt am Ende auf Japans Steuerzahler zu - vor allem im Fall einer
Absage. Dann würde das Finanzierungsmodell der Organisatoren kräftig
wackeln. Japanische Sponsoren sollen allein rund 2,7 Milliarden Euro
in die Kassen spülen. Der Ticketverkauf soll mindestens 660 Millionen
Euro bringen. Hinzu kommt der Anteil des IOC von rund 660 Millionen
Euro, von den Top-Sponsoren des Ringe-Zirkels sollen noch einmal mehr
als 410 Millionen Euro fließen. Insgesamt sind im Organisationsetat
Einnahmen von 5,5 Milliarden Euro geplant. Bei einer Absage ist
fraglich, wie viel davon übrig bleibt.

Welches Risiko trägt das IOC?

Olympische Spiele sind das Kern-Produkt des Ringe-Zirkels. Die
Vermarktung der Sommer- und Winterspiele bringt längst Milliarden.
Für den Vierjahreszeitraum von 2013 bis 2016 mit den Spielen in
Sotschi und Rio wies das IOC einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar
aus, nach derzeitigem Kurswert wären das 4,7 Milliarden Euro. Rund
drei Viertel des Geldes kommen aus dem Verkauf der TV-Rechte. Für
Tokio dürften diese Rechte bis zu 2,5 Milliarden Euro wert sein. Die
sogenannten Top-Sponsoren überweisen ebenfalls hunderte Millionen an
das IOC. Fallen die Tokio-Spiele komplett aus, würden die bereits vom
IOC verkauften Rechte massiv an Wert verlieren. Rückforderungen oder
ein anderer Ausgleich wären zu erwarten.

Wäre eine Absage ein Fall für die Versicherungen?

Das IOC sichert sich seit den Boykott-Spielen von Moskau 1980 gegen
einen Olympia-Ausfall ab. Auch die japanischen Organisatoren dürften
entsprechende Policen abgeschlossen haben. Unklar ist, in welcher
Höhe Versicherer einspringen würden. Der «Financial Times» zufolge

könnte der Rückversicherer Swiss Re 250 Millionen Dollar auszahlen
müssen, auch auf die Münchner Rück und Lloyds of London könnten
Berichten zufolge hohe Forderungen zukommen. Der IOC-Partner Allianz
beziffert seine möglichen Kosten auf einen niedrigen zweistelligen
Millionenbetrag. Offen ist, ob Vertragsklauseln eine Auszahlung der
Summen unter Verweis auf die Corona-Pandemie verhindern könnten.

Wie schwer würde ein Olympia-Ausfall die Weltverbände treffen?

Die Verschiebung habe die Hälfte der 33 Sommersportverbände in
erhebliche finanzielle Nöte gebracht, sagte jüngst Dachverbandschef
Francesco Ricci Bitti. Das IOC schüttet einen Großteil seiner
Einnahmen an die internationalen Fachverbände und die 206 Nationalen
Olympischen Komitees aus. Verteilt wird das Geld nach Größe und
Bedeutung. Experten zufolge speist sich der Etat der Weltverbände im
Schnitt zu einem Drittel aus den Olympia-Geldern. Einige Verbände
nahmen wegen der Verlegung zinslose Darlehen vom IOC, das große
finanzielle Reserven aufgebaut hat, in Anspruch. Eine Olympia-Absage
würde weitere Einschnitte zur Folge haben.

Wie stark wären der Deutsche Olympische Sportbund und die nationalen
Fachverbände betroffen?

30 Millionen Euro erhält der DOSB im Vierjahreszeitraum vom IOC.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann fürchtet «dramatische finanzielle
Einschläge» bei einer Olympia-Absage. Jeder Stützpunkt würde die
Folgen spüren, meint er. Beim Turner-Bund rechnet man zumindest nicht
mit unmittelbaren Konsequenzen, da die Sportförderung trotzdem fließt
und von den Sponsoren «erhebliche Kompensationsleistungen» im
Absagefall zu erwarten seien. Der Judo-Bund verweist auf die bereits
getätigten Ausgaben für die Olympia-Qualifikationen. Gerade kleinere
Sparten wie der Schützenbund fürchten sinkende Prämien und steigende

Startgebühren, wenn den Weltverbänden die Olympia-Einnahmen fehlen.
Die größte Sorge aber teilen alle: Ohne die große Olympia-Bühne feh
lt
die Chance, werbewirksam um Mitglieder, Sponsoren und Fans zu buhlen
und zumindest kurz aus dem Schatten des Fußballs zu treten.

Welche Einbußen müssen die Athletinnen und Athleten fürchten?

Die Sporthilfe errechnete schon im Vorjahr einen Einnahmeverlust von
insgesamt rund sechs Millionen Euro bei den 466 Mitgliedern des
deutschen Kaders für Olympia und Paralympics. Der Grund: kaum
Antritts- und Preisgelder durch fehlende Wettbewerbe und zugleich
geringere Sponsorenleistungen. Das ist ein Trend, der sich 2021 noch
fortsetzt. Olympische Auftritte sind einzigartige Vermarktungschancen
für die meisten Sportler, besonders für Medaillengewinner. Zwar
bleiben Leistungen von Sporthilfe und Sportförderung konstant, doch
ein olympischer Erfolg steigert die Verdienstaussichten deutlich.
Durch eine Tokio-Absage entginge vielen diese Karrierechance.