Greifswalder Bioinformatiker sieht Gefahr für dritte Corona-Welle

Der Greifswalder Bioinformatiker Lars Kaderali führt seit einem Jahr
Berechnungen zum Verlauf der Corona-Pandemie. Auch die
Landesregierung schaut auf seine Simulationen. Die aktuelle
Entwicklung stimmt ihn pessimistisch.

Greifswald (dpa/mv) - Der Greifswalder Bioinformatiker Lars Kaderali
sieht eine große Gefahr, dass Mecklenburg-Vorpommern auf eine dritte
Corona-Welle zusteuert. Das hieße, «dass die Zahlen wieder auf
Inzidenzen um 200, vielleicht sogar noch höher, hochschießen können
innerhalb von wenigen Wochen», sagte der Leiter der Bioinformatik der
Universitätsmedizin Greifswald, der mit seinen Simulationen die
Landesregierung berät, der Deutschen Presse-Agentur.

Aktuell sehe es danach aus, dass die Inzidenzwerte auf einem Plateau
verharrten. Die Lage sei «sehr, sehr wackelig». Kleinere Anpassungen
würden in seinen Berechnungen das Ergebnis «radikal» ändern, sagte
er
vor allem mit Blick auf die mutierten Coronaviren. «Wenn wir
annehmen, 10 Prozent der Infektionen sind mutiertes Virus, dann gehen
die Zahlen weiter runter nach den Simulationen. Wenn wir annehmen,
wir sind bei 30, 40 Prozent, dann sind wir voll auf dem Trip in die
dritte Welle.» Dass die Inzidenzen derzeit nicht weiter
heruntergehen, spreche entweder dafür, dass die Varianten viel
infektiöser seien oder bereits deutlich mehr von ihnen im Umlauf
seien als bisher angenommen.

Kaderali stellt seit etwa einem Jahr Berechnungen an und versucht,
die Entwicklung der Infektionen für Mecklenburg-Vorpommern
vorauszusagen. Dafür teilt er die Bevölkerung etwa in
Nicht-Infizierte; Infizierte, aber nicht Ansteckende sowie
Infektiöse. Sein Modell enthält auch Krankheitsverläufe und die
Wahrscheinlichkeit der Übertragung des Virus. Daten, die den
tatsächlichen Verlauf der Pandemie darstellen, etwa vom Robert
Koch-Institut, vergleicht Kaderali mit seinen Prognosen und passt
sein Modell an.

Mittlerweile seien Daten zu Impfungen eingeflossen. Deren Effekt sei
aber noch zu vernachlässigen. Am Ende stünden für jeden Tag die Zahl

der Neuinfektionen, der akut Erkrankten, der Genesenen, der
Krankenhaus- und Intensivpatienten sowie der Gestorbenen. «Im Prinzip
simulieren wir das komplette Infektionsgeschehen», so der
Bioinformatiker.

Auch politische Maßnahmen wie etwa Lockdowns versucht er im Modell
abzubilden, indem er die Kontakthäufigkeiten anpasst. Den Effekt
einzelner Maßnahmen, etwa der Schließung oder Öffnung von Schulen,
könne er nicht vorhersagen. «Da fehlt schlicht und einfach die
Datenbasis.» Die Maßnahmen seien immer im Bündel angewandt worden.

Seine Berechnungen zeigten allerdings, dass die gleichen Maßnahmen im
vergangenen März viel effektiver waren, als sie es jetzt sind. «Weil
einfach damals die Unsicherheit viel größer war. Die Leute waren viel
vorsichtiger.» Seiner Meinung nach haben auch Diskussionen über
Lockerungen einen Effekt. Bei gleichzeitig fallenden Inzidenzen könne
er sich vorstellen, dass das zu weniger Vorsicht in Teilen der
Bevölkerung führt.

Er könne den Wunsch nach Lockerungen zwar verstehen. «Aber ich hab
wirklich große Sorgen, dass das nach hinten losgeht», sagte der
Wissenschaftler. Er halte es für die deutlich bessere Strategie, noch
einmal für zwei Wochen einen richtig strengen Lockdown umzusetzen und
die Werte deutlich unter 50 und vielleicht auf Werte um 20 zu
drücken. Dann könne er sich auch vorstellen, dass längerfristige
Lockerungen möglich sind, «und man nicht in so einen Jo-Jo-Effekt
reinkommt».

Dass Lockdown-Maßnahmen auch gegen die Verbreitung mutierter
Coronaviren wirken, zeigen laut Kaderali die sinkenden Zahlen aus
England. «Aber es ist halt nicht möglich, wenn man hier über
Lockerungen diskutiert und alles aufmacht und parallel das
Impfprogramm nicht vorankommt.» Dann sei die Gefahr groß, «dass wir
voll in die nächste Welle reingehen».