Bayern öffnet Baumärkte - Corona-Zahlen sinken nicht weiter

Die Corona-Zahlen stagnieren in Bayern - dennoch gibt die
Landesregierung dem öffentlichen Druck nach und macht weitere
Lockerungsschritte. Das mit besseren Werten stillhaltende
Baden-Württemberg befürchtet nun Einkaufstourismus.

München (dpa/lby) - Ungeachtet einer Seitwärtsbewegung bei den
Corona-Infektionen lockert Bayern die Schutzmaßnahmen. Vom kommenden
Montag an können Kunden ganz regulär wieder in Baumärkten und
Gartencentern einkaufen, sich beim Friseur die Haare und im
Nagelstudio die Fingernägel schneiden lassen, beschloss das Kabinett
bei seiner Sitzung am Dienstag. Von den Nachbarn aus
Baden-Württemberg kam umgehend Kritik.

Man sei irritiert angesichts der Kehrtwende des bayerischen
Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), sagte Regierungssprecher Rudi
Hoogvliet der dpa in Stuttgart. «Bisher war er immer der harte Hund,
jetzt fängt er an, eine Sache nach der anderen Sache zu öffnen»,
sagte Hoogvliet. «Ich weiß nicht, was das soll.» Die Baumärkte ware
n
wie die Geschäfte vieler anderer Branchen im Lockdown geschlossen
worden.

Söder selbst hatte vor einer schnellen Öffnung von Geschäften
gewarnt, vor allem wegen der zunehmend grassierenden, ansteckenderen
Virus-Mutationen. In Nürnberg hatten etwa die Schulen nur einen Tag
nach der Öffnung am Montag wieder schließen müssen, weil die
Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner auf über 100 gesprungen
war und eine Linderung in den nächsten Tagen nicht in Sicht ist. Der
Ministerpräsident hatte aber auch erklärt, es müsse dort deutliche
Erleichterungen geben, wo die Inzidenz stabil unter 35 bleibt.

Bayerns Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Parteichef Hubert
Aiwanger verlangte sogar, Ostern müsse die Öffnung von Hotels möglich

sein, sofern die Gäste einen negativen Corona-Test vorlegen könnten.
«Hier muss Richtung Ostern eine Perspektive kommen», sagte Aiwanger.
Trotz aller Schwierigkeiten in der Pandemie sehe er positive Signale.

Bayerns Staatskanzlei-Chef und Corona-Koordinator Florian Herrmann
(CSU) verteidigte die Öffnung der Baumärkte, die an Hygienekonzepte
gebunden ist und nur eine bestimmte Zahl von Kunden pro Quadratmeter
Verkaufsfläche vorsieht als «lebensnahe Entscheidung». Wenn die
Gartenabteilungen geöffnet werden dürften, der Rest der Baumärkte
aber nicht, werfe das Fragen auf.

Neben Bau- und Gartenmärkten, Gärtnereien, Baumschulen sowie
Angeboten körpernaher Dienstleistungen wie Friseur, Kosmetik und
Maniküre wird in Bayern auch der Einzelunterricht an Musikschulen
wieder möglich. Dies gelte allerdings nur dort, wo die
Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche unter
100 liege. Der Freistaat übernimmt auch im März die
Kindergartengebühren für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita
schicken wollen, beschloss das Kabinett zudem.

Am Dienstag lag der landesweite Schnitt bei der Sieben-Tage-Inzidenz
laut Robert Koch-Institut bayernweit bei 57,8 und damit leicht unter
dem Bundesdurchschnitt. Allerdings schwankt die Zahl der
Neuinfektionen im Freistaat so stark wie nirgends anders in
Deutschland. Mit Tirschenreuth (355,3) stellt Bayern den Landkreis
mit dem höchsten Infektionsgeschehen in ganz Deutschland, mit der
Stadt Schweinfurt (11,2) auch die Kommune mit der günstigsten
Entwicklung in Deutschland.

Am 23. März will der Freistaat mit einem Trauerakt der 12 000
Corona-Toten im Freistaat gedenken. «Wir wollen gemeinsam innehalten,
den Menschen, die hinter den täglich veröffentlichten Zahlen stehen,
ein Gesicht geben und unserem Mitgefühl Ausdruck verleihen», sagte
Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU).

Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kündigte an, Bayern wolle
seine Impfkapazität gegen das Coronavirus bis April mehr als
verdoppeln. In den 100 Impfzentren könnten derzeit bis zu 46 000
Menschen pro Tag gegen das Virus geimpft werden. Die Kapazität solle
auf 111 000 pro Tag erhöht werden, sagte Holetschek. Hinzu kämen
Impfmöglichkeiten in Arztpraxen und Krankenhäusern. «Der Kern ist,
dass der Impfstoff planbar und auch zuverlässig kommt», sagte der
Minister.

Bis Dienstag waren nach den Worten von Holetschek in Bayern 899 836
Menschen mit einer Impfung versorgt. «Das ist glaube ich eine gute
Zahl, die zeigt, wie leistungsfähig unsere Impfzentren sind», sagte
er. 81 Prozent aller Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen hätten
eine Erstimpfung erhalten, betonte er. «Da haben sich die
Neuinfektionen wirklich drastisch verringert.» Auch beim
Klinikpersonal der höchsten Priorisierungsstufe sei man mit 77
Prozent schon gut dabei.

Eine Impfkommission soll künftig auch Einzelfall-Entscheidungen bei
den Impfungen ermöglichen. Sie werde sich am 25. Februar
konstituieren und vom ehemaligen ärztlichen Direktor des Münchner
Universitätsklinikums, Professor Karl-Walter Jauch, geleitet werden.

Bayern habe sich zudem 5,3 Millionen Schnelltests für die
Eigenanwendung gesichert, sagte Holetschek. Für diese seien jedoch
die Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Ministerpräsident
Söder hatte bereits am Montag angekündigt, es würden Gärtnereien un
d
Gartenmärkte geöffnet, um zu vermeiden, dass Kunden die Waren dicht
gedrängt bei Lebensmittel-Discountern kaufen. Es handele sich um
verderbliche Ware.

Wirtschaftsminister Aiwanger forderte die Bundesregierung auf, die
Bedingungen für die Anträge auf Überbrückungshilfe III zu kläre
n.
Bayern habe «keinen Nerv» für parteipolitische Scharmützel in Berli
n.
Die Novemberhilfen und Dezemberhilfen seien in Bayern bereits zu
einem hohen Prozentsatz ausgezahlt. Bayern sei mit einer Auszahlung
von Hilfsgeldern in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bundesweit
Spitzenreiter.

Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) machte deutlich, dass
nach dem Schulstart am Montag rund 55 Prozent der Schülerinnen und
Schüler in Bayern wieder im Präsenz- oder Wechselunterricht sind, die
anderen noch im Distanzunterricht. Den Schulen sei empfohlen worden,
größere Räume wie Turnhallen oder auch angemietete Räumlichkeiten z
u
nutzen, um die Lage zu entspannen.