Tübinger Pathologe: «Die Virologen sind ganz versessen auf mein Blut» Von Tatjana Bojic, dpa

Im Frühjahr 2020 ging es Schlag auf Schlag. Weltweit immer mehr
Corona-Infizierte, dann die ersten drei Fälle in Baden-Württemberg
binnen zwei Tagen. Einer davon erzählt.

Tübingen (dpa/lsw) - Hans Bösmüller war Ende Februar 2020 einer der
ersten in Baden-Württemberg, die positiv auf das Coronavirus getestet
wurden. Erwischt hat es den Oberarzt der Pathologie an der Tübinger
Uniklinik über seine Tochter, die mit einem Bekannten aus Göppingen
in Mailand war. «Als sie zurückkam von der Reise haben wir uns
herzlich umarmt und zu Abend gegessen», erzählt der 60-Jährige. Doch

der Bekannte seiner Tochter war tags darauf beunruhigt, ging zum Arzt
und wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Das war damals der
erste bekannt gewordene Fall.

Die Klinik, die Bösmüller mit seiner Tochter am selben Abend
aufsucht, behält beide gleich für eine Woche da, denn auch sie sind
infiziert. «Ich hatte da schon Geschmacksverlust und
Muskelschmerzen.» In der häuslichen Quarantäne kommen später Fieber

und Husten dazu. «Die Virologen und Immunologen haben seither großes
Interesse an meinem Blut. In der Summe haben sie mir geschätzt einen
Liter abgenommen», sagt Bösmüller. Er gehört zu einem Pool von
Erstangesteckten, bei denen das zellulare Immunsystem fortlaufend
untersucht wird. Dabei soll festgestellt werden, wie viele
immunkompetente Gedächtniszellen sich ausgebildet haben.

Der Mediziner spürt keine Langzeitfolgen der Infektion, ist auch noch
nicht geimpft, weil er nicht zu den Risikogruppen zählt.
«Entscheidend ist eine hohe Durchimpfungsrate der Bevölkerung, auch
wenn über die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der zugelassenen
Impfstoffe derzeit noch keine abschließende Beurteilung möglich ist»,

erklärt Bösmüller. Damit spricht er die Diskussion um den derzeit
verfügbaren Impfstoff des Herstellers Astrazeneca an. Dieser hat laut
Studien bei der südafrikanischen Mutante des Sars-CoV-2-Virus einen
geringeren Wirkungsgrad. «Wichtig ist vorrangig, dass wir keine
schweren Verläufe mehr bekommen.»

Bösmüller hat seit Ausbruch des Coronavirus die Körper von Dutzenden

Menschen obduziert, die an einer Sars-CoV-2-Infektion gestorben sind.
Die Patienten waren zwischen 18 Jahren und 89 Jahren alt und hatten
zum großen Teil Vorerkrankungen. Die Pathologie Tübingen ist Teil
eines Netzwerks von Pathologien in Baden-Württemberg, deren
Covid-19-Forschung vom Wissenschaftsministerium in Stuttgart
gefördert und finanziell unterstützt wird. An diesen seien bisher
mehr als 100 Autopsien erfolgt, berichtet Bösmüller.

Er kommt aus Linz, sein Vater war Österreicher, seine Mutter
Deutsche, beide Mediziner. Seit einigen Jahren arbeitet er in der
baden-württembergischen Universitätsstadt und pendelt zwischen
schwäbischer Wahlheimat und alter Heimat hin und her. Doch das Bier
hierzulande schmeckt ihm nicht so gut. «Die Bierzeremonie am
Freitagabend nach einer Arbeitswoche ist mir heilig. Ich habe immer
Linzer Bier hier», erzählt Bösmüller.

In Tübingen fühlt sich der Mediziner nach eigenen Angaben sehr wohl.
Unter anderem auch deshalb, weil hier Erfolg geschätzt und gefördert
werde. ««Ruhm kann man sich kaufen. Neid muss man sich erwerben»:
Über diesen Aphorismus der österreichischen Arbeitswelt habe ich bei
den Schwaben nie nachdenken müssen.»

An Wochenenden in der Heimat werkelt Bösmüller im Garten und bleibt
am liebsten zu Hause. «Am besten schlafe ich in meinem Bett», sagt
er. Manchmal besuchen er und seine Frau das rund zwei Autostunden
östlich von Linz entfernte Wien. Ansonsten findet man ihn öfter in
der Küche als Hobbykoch. Sein Leibgericht ist Fischsuppe. «Und am
Herd habe ich freie Hand und kann entspannen.»